Lehre reflektieren mit KI
Ein Beitrag von Raika Selle
Frau Möller, Sie beschäftigen sich damit, wie man mithilfe von KI die eigene Lehre reflektieren kann. Was bedeutet Reflektieren in diesem Kontext?
Wanda Möller: In diesem Kontext bedeutet Reflektieren im Wesentlichen, dass Lehrende ihr eigenes Handeln systematisch hinterfragen, analysieren, in Beziehung zur Gesellschaft sowie Wissenschaft setzen und bewerten, um daraus konstruktive Konsequenzen für die Weiterentwicklung ihrer Lehre zu ziehen. Damit ist die Reflexion das Bindeglied zwischen Erfahrung, Wissen, Handlung und Innovation. Durch die Unterstützung der KI kann hier von einer strukturierten Selbstreflexion gesprochen werden. Allerdings kann die KI mehr als beispielsweise ein Reflexionsportfolio, mit dem man selbst seine Erfahrungen dokumentiert und einschätzt, denn sie kann die Rolle eines dialogischen Gegenübers einnehmen und dadurch individuell auf die Reflektierenden eingehen. Es geht also darum, die KI als Chatbot einzusetzen und mit ihr zu interagieren. Der Chatbot ist sozusagen ein „Praktikant am ersten Tag“, der noch kein Kontextwissen hat. Man muss ihm das erklären und so den Dialog steuern.
Veranstaltungsreihe KI-Kompetenzen stärken
Wanda Möller referierte zu diesem Thema bei einem Online-Workshop im Rahmen unserer Kooperation „Konzertierte Weiterbildungen zu künstlicher Intelligenz in der Hochschullehre“ mit dem Netzwerk Landeseinrichtungen für digitale Hochschullehre (NeL). Wir und das NeL stellen wegen des großen Bedarfs an KI-bezogenen Qualifizierungs- und Unterstützungsmaßnahmen vielfältige Angebote zur Verfügung. Alle Informationen und weitere Termine der Reihe finden Sie auf unserer Website.
Für wen ist das aus Ihrer Sicht geeignet?
Möller: Geeignet ist dies für alle. Routinierte Lehrende können sich über diesen Weg zum Beispiel mit aktuellen Veränderungen (Stichwort gesellschaftliche Transformationen oder Krisen) auseinandersetzen, Lehranfänger:innen mit verunsichernden Situationen aus der Lehre, beispielsweise geringer Beteiligung von Studierenden.
Für welche Fragestellungen eignet sich dieses Vorgehen?
Möller: Die Nutzung von KI eignet sich vor allem für Fragestellungen im Bereich der Selbstreflexion. Das Besondere daran ist die Möglichkeit der individuellen Unterstützung von Selbstreflexionsprozessen in einem Safe-Space (ohne Hierarchien oder Wertungen realer Personen).
Es geht um eine vertiefte (auch kritische) Auseinandersetzung mit etablierten Routinen im Spannungsfeld aktueller Veränderungen (zum Beispiel gesellschaftliche Transformationen oder Krisen). Das Ziel kann sein, neue Kompetenzen in die Lehre zu implementieren. Weitere Schwerpunkte sind die Auseinandersetzung mit ‚Störungen‘ und Problemen in der Lehre, der Umgang mit verschiedenen Perspektiven auf eine Situation sowie persönliche Einstellungen und deren mögliche Auswirkungen. Konkret heißt das: Mit der KI als Chatbot lassen sich verschiedene Fragen reflektieren. Das können alltägliche Fragen (zum Beispiel „Wie mache ich denn…?“), gruppen- und themenspezifische Fragen (zum Beispiel „Ist meine Lehre barrierefrei?“ oder „Wie könnte ich das Thema Nachhaltigkeit noch mehr adressieren?“), persönliche Fragen (zum Beispiel „Was macht mir Angst oder Spaß am Lehren?“), bis hin zu übergreifenden Fragen (zum Beispiel „Welche Kompetenzen brauche ich eigentlich für gute Lehre?“) sein. Das können die Lehrenden systematisch, aber auch situativ bearbeiten.
Zur Person
Wanda Möller
Wanda Möller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Lehreinheit Grundschulpädagogik des Fachbereichs Erziehungswissenschaft und Psychologie an der FU Berlin. In ihrer aktuellen Forschung befasst sie sich unter anderem mit dem Einsatz von KI in der Lehre sowie in der politischen Bildung.
Worin liegen die Vorteile einer KI gegenüber klassischen Evaluationsformaten wie zum Beispiel einer Befragung der Studierenden?
Möller: Die Reflexion mit einem Chatbot ist ein individueller, dialogischer Prozess, in den die aktuellen Bedürfnisse der Nutzenden mit einfließen. Hier geht es erst einmal nicht um eine Rückmeldung (zum Beispiel Ergebnisse aus dem Fragebogen), sondern um eine Auseinandersetzung mit dem Erfahrungs-, Wissens- und Handlungshorizont der Lehrenden. Die dabei generierte Rückmeldung der KI beruht auf ausgelesenen, sehr unterschiedlichen Daten und wird daher eher wissensgestützt und übergreifend sein. Die konkrete Rückmeldung von Studierenden durch entsprechende Fragebögen beruht auf gemeinsam erlebten Situationen und wäre eine bereichernde Ergänzung zu diesem Prozess.
Wie komme ich zu einem guten Ergebnis?
Möller: Reflexion ist ein sehr individualisierter Prozess, bei dem es kein „richtig für alle“ gibt. In diesem Fall erzielt man die besten Ergebnisse, wenn man den dialogischen Prozess auf seine Bedürfnisse ausrichtet, mit der Offenheit für komplizierte und komplexe Themen. Konkret kommt man gut in diesen Prozess, wenn man geläufige Dialogtechniken nutzt oder den Dialog selbst steuert, mit dem Ziel, immer weiter in die Tiefe zu kommen. Es gibt hierfür ein Prompt-Workbook , das eine Anleitung in Baukastenform enthält. Empfehlenswert ist, die einzelnen Teile auszuprobieren, empfundene Unstimmigkeiten dem Chatbot direkt mitzuteilen und so seinen individuellen Umgang damit zu finden.
Und wo sehen Sie die Grenzen der KI?
Möller: Reflexionsgespräche zwischen Menschen stehen unter dem Einfluss von Empathie, Kongruenz und individuellen Lebenserfahrungen mit ihrer emotionalen Komponente (zum Beispiel „Das habe ich auch geschafft!“). Auch Modelllernen, Feedback zur eigenen Person und kreative Anregungen spielen eine große Rolle. Das kann nicht durch die aktuellen KI-Technologien ersetzt werden. Eine weitere Grenze ist die Einseitigkeit von Selbstreflexionen in beruflichen Teams. Werden Reflexionen in Teams geteilt oder gemeinsam unternommen, dient dies einer gemeinsamen Entwicklung. Wichtig wären beide Prozesse.
Weiterführende Materialtipps von Wanda Möller
Das Workbook „(Hochschul-) Lehre reflektieren mit textgenerativer KI“ bietet Lehrenden die Möglichkeit, mehr über den Aufbau von Prompts zu erfahren und diese anhand von konkreten Beispielen direkt auf die eigene Lehre anzuwenden.
Das Hochschulforum Digitalisierung hat zu diesem Thema ein Reflexionsportfolio mit dem Titel „Zukunftsorientierte Lehre – Reflektieren, Gestalten, Inspirieren“ entwickelt, das Theorie- und Praxiswissen vereint.
Zur Autorin
Raika Selle
Raika Selle ist Volontärin im Team Kommunikation der Stiftung Innovation in der Hochschullehre.