Jubiläumsserie: Interview mit Prof. Dr. Frank Ziegele
Was haben Sie in den vergangenen fünf Jahren über Innovation gelernt?
Vermeintliche Gewissheiten über die Hochschullehre lösen sich auf. Lange galt: Hochschulbildung ist eine zusammenhängende Phase zwischen Schule und Beruf. Lehre findet im Hörsaal in Präsenz statt und vermittelt Fachwissen; Prüfungen fragen dieses Wissen dann ab und so weiter. All dies ist in Frage gestellt – lebenslange, individuelle Lernbiografien, blended learning und future skills lauten beispielsweise die Stichworte. Hier können die Hochschulen nicht weitermachen wie bisher, sie müssen innovativ diese Veränderungsprozesse gestalten und auf Basis ihrer Stärken ihre individuelle Rolle finden, um zukunftsfähig zu bleiben.
Welche Innovationen haben Ihrer Meinung nach die Lehre in den vergangenen fünf Jahren maßgeblich verändert?
Die Digitalisierung und gerade noch einmal der Einsatz Künstlicher Intelligenz hat sich entscheidend auf die Lehre ausgewirkt. Spätestens seit der Zeit der Corona-Pandemie sollte klar sein, dass die klassische Vorlesung mit 500 Leuten in einem Hörsaal ausgedient hat. Gute Lehre ist „blended“. Denn, das hat Corona gezeigt, auch der soziale Ort Campus als Teil des Lehr- und Lernerfolgs ist nicht zu unterschätzen.
Auf welche Innovation warten Sie?
Da könnte ich mir vieles vorstellen, ich nenne mal zwei: das Kompetenz-Wallet. Eine technische Lösung, die lebenslang erworbene Kompetenzen der Lebens- und Bildungsbiografie erfasst und zertifiziert verbrieft, würde viele Ressourcen freisetzen, die wir durch umständliche Anrechnungs- und Bewertungssysteme aktuelle noch binden. Und fast noch dringender: Gute, fachbezogene Konzepte, wie man Studierende in die Lage versetzt, den Co-Creation-Prozess menschlicher und künstlicher Intelligenz zu gestalten.

Zur Person
Prof. Dr. Frank Ziegele
Frank Ziegele ist Geschäftsführer des gemeinnützigen CHE Centrum für Hochschulentwicklung in Gütersloh und Professor sowie Studiengangsleiter für Hochschul- und Wissenschaftsmanagement an der Hochschule Osnabrück.
Wenn Sie zurückblicken: Was hätten Sie vor fünf Jahren gerne gewusst, was heute wichtig für Sie ist?
Dass es so aussieht, als müssten Hochschulen auch bei uns womöglich wieder um die akademische Freiheit und wir alle gemeinsam um die Demokratie kämpfen. Vielleicht hätten wir uns noch besser gegen diese Bedrohungen aufstellen können, zum Beispiel mit klarer Wissenschaftskommunikation.
Was denken Sie, wie kann Lehre in fünfzehn Jahren aussehen?
Wenn man sich vor Augen hält, wie rasant sich die Lehre allein in den vergangenen fünf Jahren verändert hat, ist eine Prognose für die kommenden fünfzehn Jahre schwierig bis unmöglich. Hinzu kommt, dass sie je nach innovativem Hochschultyp der Zukunft auch ganz unterschiedlich aussehen kann. Drei Beispiele: An einer Hochschule, die sich der Lösung von „Grand Challenges“ verschrieben hat, wird „challenge-based learning“ dominieren. An einer Online-Hochschule für Berufstätige wird die Betreuung im Online-Studium weitgehend von KI-Bots übernommen. Und an einer Hochschule, die sich als Lernbegleiter ihrer Studierenden versteht, wird es viel Coaching geben. Auf jeden Fall gibt es kein one-size-fits-all.