Jubiläumsserie: Interview mit Prof. Dr. Sylvia Heuchemer
Was haben Sie in den vergangenen fünf Jahren über Innovation gelernt?
Ich habe gelernt, dass Innovation nicht zwangsläufig etwas radikal Neues oder Disruptives sein muss. Oft liegt das Innovative im evidenzbasierten Weiterentwickeln bestehender Konzepte und ihrer Übertragung in neue Kontexte. In der Hochschullehre zeigt sich, wie wertvoll schrittweise Veränderungen sind – etwa durch neue didaktische Ansätze, die den Lernalltag spürbar verbessern. Innovation heißt, den Mut zu haben, Dinge auszuprobieren – im Wissen, dass nicht alles sofort gelingt. Eine Fehlerkultur, die Scheitern als Teil des Lernprozesses begreift, ist entscheidend für Innovation. Kurz: Innovation braucht weniger den großen Umbruch als ein lernoffenes Umfeld.
Welche Innovationen haben Ihrer Meinung nach die Lehre in den vergangenen fünf Jahren maßgeblich verändert?
Die größten Innovationsimpulse der letzten Jahre kamen zweifellos durch äußere Einflüsse: die pandemiebedingten Umstellungen und der Fortschritt Künstlicher Intelligenz. Diese Herausforderungen haben die Digitalisierung der Hochschullehre massiv vorangetrieben – und damit auch neue Konzepte hervorgebracht, etwa im Umgang mit Prüfungen, mit Open Educational Resources oder der Integration dialogischer Lernformate. Innovativ ist dabei weniger die Technik als ihre kollaborative, reflektierte und offene Nutzung. Die gemeinsame Bewältigung der Pandemie hat Lehre stärker als Gemeinschaftsaufgabe ins Zentrum gerückt und hier liegt weiterhin viel Potenzial.
Auf welche Innovation warten Sie?
Ich warte weniger auf etwas völlig Neues als auf das Renouveau einer alten Idee unter neuen Vorzeichen: den europäischen Gedanken der Universitas als einer Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, die gemeinsam Verantwortung für Bildung übernehmen. Diese Idee ist nicht neu, doch ihre konsequente Umsetzung in einer digital vernetzten, partizipativen und dialogorientierten Lehre wäre ein Innovationsschub – zumal es in Zeiten politischer Spannungen, sozialer Ungleichheiten und bedrohter Menschenrechte unsere Verantwortung als akademische Gemeinschaft ist, solidarisch zusammenzustehen und unsere Werte zu verteidigen.
Zur Person
Prof. Dr. Sylvia Heuchemer
Sylvia Heuchemer ist Präsidentin der Technischen Hochschule Köln, Professorin für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Innovation in der Hochschullehre.
Wenn Sie zurückblicken: Was hätten Sie vor fünf Jahren gerne gewusst, was heute wichtig für Sie ist?
Mein Bewusstsein für die Bedeutung von Haltung und Werten in der Hochschullehre ist deutlich gewachsen. Ein starker Fokus auf Fachinhalte lässt leicht vergessen, dass Lernen immer auch beziehungsbasiert und wertgeleitet ist. Hochschulen sind Orte der Kompetenz- und Wissensvermittlung, aber auch der bewussten Wertebegegnung. Angesichts gesellschaftlicher Transformationsprozesse sind sie mehr denn je gefordert, aktiv Räume für Wertedialoge zu eröffnen und im Sinne transformativer Bildung zur reflektierten gesellschaftlichen Teilhabe zu befähigen.
Was denken Sie, wie kann Lehre in fünfzehn Jahren aussehen?
Nehmen wir unseren gesellschaftlichen Bildungsauftrag ernst, muss sich Lehre weiter verändern. Studierende werden stärker noch als bisher nicht nur über die Welt, sondern für und mit ihr lernen: disziplinär fundiert, inter- und transdisziplinär vernetzt, gesellschaftlich wirksam. Damit wird Lehre zur gemeinsamen Gestaltungsaufgabe von Lehrenden, Lernenden und außerhochschulischen Partner*innen. Mit ihren verschiedenen Förderlinien schafft die Stiftung dafür Freiräume – im Kleinen und im Großen.