Jubiläumsserie: Interview mit Prof. Dr. Anne Lequy
Was haben Sie in den vergangenen fünf Jahren über Innovation gelernt?
Innovation muss nicht technologiegetrieben sein. Es gibt auch soziale Innovationen, die mit wenig neuer Technologie auskommen und dennoch viel positive Veränderung in unser Leben bringen können, bei gleichzeitig geringen Risiken oder unerwünschten Nebenwirkungen. Wie lassen sich kluge Mehrgenerationenwohnmodelle gestalten, mit denen Kinderarmut und Alterseinsamkeit bekämpft werden können? Wie können wir das Miteinander auf dem Land oder in der Stadt verbessern, indem wir Ressourcen besser teilen (Solidarische Landwirtschaft, Sharing Economy)?
In den letzten fünf Jahren habe ich meinen Blick für technologiearme Lösungen geschärft – für Ansätze, die helfen, die Probleme zu lösen, die unsere Spezies auf diesem Planeten verursacht.
Welche Innovationen haben Ihrer Meinung nach die Lehre in den vergangenen fünf Jahren maßgeblich verändert?
Jenseits technologischer Innovationen wie generativer KI prägt seit einigen Jahren ein tiefgreifender Kulturwandel die Hochschullehre und verändert ihr Selbstverständnis. Seitdem Bund und Länder begonnen haben, die Qualitätssteigerung in der Lehre im großen Stil wettbewerblich zu fördern (Qualitätspakt Lehre), verlässt die Lehre ihre Nische: Gute Lehre wird sichtbar und gewürdigt.
Noch nie haben wir uns so intensiv über unsere individuelle Lehre ausgetauscht, so viel in gemeinsamen Lehrprojekten gearbeitet und europaweit so viele transnationale Module entwickelt. Die einstige „Black Box“ Lehre öffnet sich – ich begrüße diese kulturelle Innovation sehr.
Auf welche Innovation warten Sie?
Social Media mit eingebautem Faktencheck – so, dass Fakes automatisch erkannt werden und ihre virale Verbreitung gezielt ausgebremst wird.

Zur Person
Prof. Dr. Anne Lequy
Anne Lequy ist Professorin für Fachkommunikation Französisch an der Hochschule Magdeburg-Stendal, an der sie bis 2022 auch das Amt der Rektorin innehatte. Zudem ist sie Mitglied des Wissenschaftsrates und stellvertretende Sprecherin des Wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Innovation in der Hochschullehre.
Wenn Sie zurückblicken: Was hätten Sie vor fünf Jahren gerne gewusst, was heute wichtig für Sie ist?
Innovation geschieht an Hochschulen in allen Bereichen: in Lehre, Forschung, Impact (früher „Third Mission“ oder Transfer) – und nicht zuletzt in der Verwaltung. Das war mir schon vor fünf Jahren bewusst. Heute sehe ich allerdings noch klarer, wie zentral die Hochschulautonomie ist, damit Innovation überhaupt entstehen kann. Hängt die Hochschule am verlängerten Arm des Staates, fehlt ihr der Raum für Innovation. Damit Innovation nachhaltig gedeiht, braucht es zudem eine enge Vernetzung zwischen allen Dimensionen: Lehre, Forschung, Impact und Verwaltung. In der European University Association sprechen wir in diesem Zusammenhang von „Parity of Esteem“ – jede dieser Dimensionen sollte die gleiche Anerkennung erfahren, auch im Karriereweg junger Wissenschaftler:innen.
Was denken Sie, wie kann Lehre in fünfzehn Jahren aussehen?
Maßgeschneidert, durchlässig und mit „Erlebnischarakter”.
In fünfzehn Jahren wird Lehre an individuelle Lernwege und Lebensphasen flexibel anpassbar sein. Studierende werden Module aus verschiedenen Disziplinen und Hochschulen kombinieren können, unterstützt durch KI-basierte Lernassistenten, die Inhalte personalisieren.
Auch die Grenze zwischen Studium und beruflicher Ausbildung wird fließender sein: Lernformate werden stärker verzahnt, Anerkennungen erleichtert und Übergänge nahtlos gestaltet.
Präsenzformate werden nicht verschwinden, sondern aufgewertet: als Räume für echte Begegnung, kritisches Denken und kreative Zusammenarbeit – etwa in transdisziplinären Projektwochen, in denen Studierende gemeinsam mit Praxispartnern reale Probleme lösen.