Jubiläumsserie: Interview mit Prof. Dr. Ulrike Cress
Was haben Sie in den vergangenen fünf Jahren über Innovation gelernt?
In den letzten fünf Jahren ist mir deutlicher denn je geworden, dass Innovation nicht mit punktuellen technologischen Neuerungen verwechselt werden darf. Innovation ist kein einmaliger Funke, sondern ein nachhaltiger Transformationsprozess, der sich nur entfalten kann, wenn entsprechende strukturelle Rahmenbedingungen existieren oder geschaffen werden. Es genügt nicht, eine neue Technologie in die Hochschule einzuführen – sie muss in didaktische, organisatorische und kulturelle Strukturen eingebettet werden, um langfristig Wirkung zu zeigen.
Welche Innovationen haben Ihrer Meinung nach die Lehre in den vergangenen fünf Jahren maßgeblich verändert?
Large Language Models haben das studentische Lernen drastisch verändert. Viele Studierende erliegen leider der Versuchung, das Denken an KI auszulagern. Dadurch verschiebt sich ihr Verständnis von Eigenständigkeit, Verantwortung für und Qualität von wissenschaftlicher Leistung. Wir müssen die Lehre so gestalten, dass wir dem entgegenwirken. Prüfungsformate müssen KI so integrieren, dass sie den Anteil der menschlichen Leistung an einem von Mensch und KI gemeinsam erstellten Produkt maximieren.
Auf welche Innovation warten Sie?
Ich warte auf digitale Tools und Plattformen, die die inhaltliche Kollaboration von Studierenden gezielt fördern. Es braucht Umgebungen, in denen sich Studierende nicht nur organisieren, sondern gemeinsam Wissen konstruieren können – unterstützt durch KI. Sie kann als Moderations- und Strukturierungshilfe dienen, die Diskussionen inhaltlich vertiefen und produktive Gruppenprozesse anstoßen. Das kann kooperatives Lernen auf ein neues Niveau heben.
Zur Person
Prof. Dr. Ulrike Cress
Ulrike Cress ist Direktorin des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM) und Professorin für Psychologie an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Darüber hinaus ist sie Mitglied der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK).
Wenn Sie zurückblicken: Was hätten Sie vor fünf Jahren gerne gewusst, was heute wichtig für Sie ist?
Zu Beginn der Corona-Pandemie hätte ich gerne gewusst, welches kreative Potenzial in den Hochschulen steckt, um gute digitale Lehre zu gestalten. Die Krise hat viele Institutionen gezwungen, neue Wege zu gehen, und gezeigt, wie schnell innovative Formate entwickelt werden können, wenn der Handlungsdruck groß ist. Dieses Wissen hätte damals Mut gemacht und frühzeitig gezieltere Entwicklungen angestoßen. Heute ist klar: Veränderung ist möglich – wenn strukturelle Freiräume und kollektiver Gestaltungswille zusammentreffen.
Was denken Sie, wie kann Lehre in fünfzehn Jahren aussehen?
In fünfzehn Jahren wird Lehre idealerweise noch stärker auf Verstehen, Reflexion, Neugier und Offenheit ausgerichtet sein. Digitale Technologien und KI werden personalisierte Lernwege ermöglichen, doch der Kern bleibt die Förderung von Verstehen, Denkfähigkeit und Kreativität. Absolventinnen und Absolventen sollen fachlich exzellent ausgebildet sein, kollaborativ und interdisziplinär arbeiten können. Dafür braucht es Lernumgebungen, die Austausch, Perspektivenvielfalt und gemeinsames Problemlösen fördern. Digitale Medien haben dafür hohes Potential. Ich hoffe, dass sie das in den nächsten 15 Jahren entfalten können.