Jubiläumsserie: Interview mit Dr. Georg Schütte
Was haben Sie in den vergangenen fünf Jahren über Innovation gelernt?
Dass echte Durchbrüche unkalkulierbar sind. Wer hätte gedacht, dass ChatGPT binnen Wochen zur „Vergesellschaftung“ von Künstlicher Intelligenz führen würde? Was wir derzeit erleben, stellt die Grundlagen der Lehre fundamental infrage. Früher konnten wir mit kleinen methodischen Verbesserungen viel erreichen. Heute reicht das nicht mehr. Wir müssen viel grundsätzlicher überdenken, was und wie wir lehren. Und mit Experimentierlust auf das Neue reagieren.
Welche Innovationen haben Ihrer Meinung nach die Lehre in den vergangenen fünf Jahren maßgeblich verändert?
Seit der Corona-Pandemie sind virtuelle und digitale Formate in der Online-Lehre fest etabliert. Die nächste Evolutionsstufe haben wir mit den KI-Assistenzsystemen erreicht. Sie verändern die Art und Weise, wie Inhalte erzeugt werden. Das hat vielfältige Folgen für die Qualität wissenschaftlichen Lehrens und Lernens, auch des Forschens. Beide Entwicklungen haben die Hochschullehre tiefgreifend verändert und werden das auch weiterhin tun. Wie wir mit Prüfungsanforderungen darauf reagieren, ist noch weitgehend offen.
Auf welche Innovation warten Sie?
Ich glaube, Lehrende und Studierende sind erstmal damit ausgelastet, den Nutzen und die Risiken der jüngsten Innovationen in der Tiefe zu durchdringen. Es gibt Potentiale, die längst noch nicht ausgereizt sind. Ich denke da zum Beispiel an Podcasts und Videokurse, mit denen sich Wissen orts- und zeitunabhängig vermitteln lässt. Virtual Reality bietet die Möglichkeit, virtuelle Labore zu schaffen oder geografisch verteilte Studierende zusammenzubringen. Überhaupt bietet Digitalität neue Wege vielfältiger Kooperation zwischen Hochschulen im In- und Ausland, gerade in der Lehre.

Zur Person
Dr. Georg Schütte
Georg Schütte ist Vorstand der VolkswagenStiftung. Davor war er zehn Jahre lang Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Wenn Sie zurückblicken: Was hätten Sie vor fünf Jahren gerne gewusst, was heute wichtig für Sie ist?
Niels Bohr wird der Satz zugeschrieben: „Vorhersagen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Dem stimme ich zu. Wir erleben gegenwärtig Disruptionen und Umbrüche, deren Tempo und Wucht vor fünf Jahren niemand vorhergesehen hat. Ich freue mich, dass wir heute als VolkswagenStiftung diese Transformation begleiten können. Es gibt Risiken, aber noch mehr Chancen – sofern die Hochschulen anpassungsfähig genug sind, „agil“, um mal ein Modewort zu nutzen.
Was denken Sie, wie kann Lehre in fünfzehn Jahren aussehen?
Eigentlich müsste ich hier wieder Niels Bohr zitieren. Aber gut: Dass die Digitalisierung uns mit weiteren Disruptionen konfrontieren wird, halte ich für ausgemacht. Lehrangebote werden viel stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Studierenden zugeschnitten sein – das heißt: maßgeschneiderte Inhalte, adaptive Lernpfade, unterstützt von KI. Gleichzeitig glaube ich fest daran, dass die Hochschule als sozialer Ort unersetzlich bleibt. Menschen brauchen Räume, um sich auszutauschen, voneinander zu lernen und Gemeinschaft zu erleben. Ohne diese Dimension wäre Lehre letztlich nicht vollständig.