Jubiläumsserie: Interview mit Prof. Dr. Christian Spannagel
Was haben Sie in den vergangenen fünf Jahren über Innovation gelernt?
In den vergangenen fünf Jahren habe ich gelernt, dass Innovation in der Lehre nicht zwangsläufig mit Technologie beginnt – sondern mit Haltung. Wirklich innovative Ansätze entstehen dort, wo Lehrende sich trauen, Dinge anders zu denken: spielerischer, partizipativer, mit mehr Mut zur Unvollkommenheit. Innovation bedeutet für mich, Lernfreude und Sinnstiftung in den Mittelpunkt zu stellen – gerade in Fächern wie Mathematik, die (leider) oft angstbesetzt sind.
Welche Innovationen haben Ihrer Meinung nach die Lehre in den vergangenen fünf Jahren maßgeblich verändert?
Besonders verändert hat sich die Lehre für mich durch didaktische Konzepte, die Selbststeuerung und Eigenverantwortung gezielt stärken – etwa durch den Inverted Classroom oder hybride Lehrformate. Wenn Lernprozesse nicht mehr ausschließlich in Präsenz stattfinden, sondern bewusst über synchrone und asynchrone Phasen hinweg gestaltet werden, entsteht Raum für neue Perspektiven: Lehrende überdenken ihre Didaktik und Methodik, Lernende werden zu aktiven Gestalter*innen ihres Lernwegs. Die gemeinsame Zeit wird wertvoller – für Austausch, Anwendung und vertiefendes Verstehen.
Auf welche Innovation warten Sie?
Ich warte auf Innovationen, die nicht nur punktuell eingesetzt werden, sondern systemisch wirken – zum Beispiel eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit, die wirklich gelebt wird, oder eine Fortbildungskultur, die langfristiges Lernen für Lehrpersonen ermöglicht. Technisch wünsche ich mir Plattformen, die motivationale und kognitive Aspekte intelligent verbinden und die sich an die jeweiligen Studierenden anpassen.

Zur Person
Prof. Dr. Christian Spannagel
Christian Spannagel ist Professor für Mathematik und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Parallel ist er in den Sozialen Medien aktiv, wo er mehrere Tausend Follower:innen erreicht und regelmäßig Inhalte zu Mathematik, Informatik, Bildung und Wissenschaftskommunikation teilt.
Wenn Sie zurückblicken: Was hätten Sie vor fünf Jahren gerne gewusst, was heute wichtig für Sie ist?
Was ich gerne früher gewusst hätte: Wie zentral psychologische Faktoren wie Selbstwirksamkeit, Mindset oder die individuelle Lernmotivation für das Lernen sind – und wie sehr sie durch Lehrverhalten beeinflusst werden können. Viel zu lange lag mein Fokus auf Inhalten und Methoden, ohne zu erkennen, wie entscheidend die Lernhaltung der Studierenden ist.
Was denken Sie, wie kann Lehre in fünfzehn Jahren aussehen?
In fünfzehn Jahren wird gute Lehre weniger durch Ort und Zeit begrenzt und stärker durch Beziehungen, Sinn und Neugier geprägt sein. Technologische Entwicklungen – etwa KI-gestützte Lernbegleiter, adaptive Lernumgebungen oder immersive Szenarien – werden vielfältige Wege eröffnen, um Inhalte verständlicher und anschaulicher zu vermitteln, Lernprozesse individueller zu unterstützen und neuen Gegenstandsbereiche erlebbar zu machen. Entscheidend wird aber nicht die Technik sein, sondern die pädagogischen Konzepte dahinter: eine Lehre, die mehr fragt als erklärt, die Lernprozesse statt Stoffpläne in den Mittelpunkt stellt, und die Menschen in ihrer Vielfalt ernst nimmt.