Jubiläumsserie: Interview mit Prof. Dr. Tobias Jenert
Was haben Sie in den vergangenen fünf Jahren über Innovation gelernt?
…dass Innovation in der wissenschaftlichen Lehre nur dann gelingen kann, wenn Vertreter:innen unterschiedlicher Fächer und Funktionen mit sehr viel Geduld und gegenseitiger Nachsicht lernen, sich zu verständigen. Das ist nicht einfach, denn Vertreter:innen verschiedener Disziplinen leben oft in ganz verschiedenen Welten, ohne sich dessen im Alltag unbedingt bewusst zu sein. Bei der Zusammenarbeit an Lehrinnovationen kommt es dann schnell zu Missverständnissen an den unsichtbaren Fächergrenzen. Diese sichtbar zu machen und schließlich überwinden zu lernen, ist ein gutes Stück Arbeit; meines Erachtens sind Konzepte zur Verständigung zwischen Disziplinen für sich schon eine ganz zentrale Innovation für die Lehrentwicklung.
Welche Innovationen haben Ihrer Meinung nach die Lehre in den vergangenen fünf Jahren maßgeblich verändert?
Meiner Wahrnehmung nach haben ganz alltägliche, recht stille Veränderungen den größten Einfluss. Beispielsweise ist die Organisation von Lehre durch Signal, WhatsApp und Co. deutlich fluider geworden. Und die Möglichkeit, Sprechstunden und Beratungen wahlweise immer auch online, wahlweise von unterwegs aus durchzuführen, ist zum absoluten Standard geworden. Das hat nicht nur die Struktur von Lehre aufgebrochen, sondern auch die pädagogischen Prozesse auf eine Weise verändert, die meines Erachtens noch nicht in der Tiefe verstanden ist.
Auf welche Innovation warten Sie?
Auf die Bereitschaft der Wissenschaft, sich wirklich kritisch in ihrem Umgang mit Gesellschaft und insbesondere der Vielfalt von Studierenden auseinanderzusetzen. Wir sehen ein Sich-Wegbewegen großer Teile der Gesellschaft von Wissenschaft und ich sehe auch nicht, dass sich Wissenschaft vor diesem Hintergrund grundlegend hinterfragt. Die Lehre wäre genau der Kontext, wo erforscht und erprobt werden kann, wie Menschen eine wissenschaftliche Haltung erleben und für Wissenschaft begeistert werden können. Diese grundlegende Herausforderung, Wissenschaft für immer heterogenere Studierende nah- und erlebbar zu machen, lässt sich mit methodischen und technologischen Innovationen oder mit glitzerndem Wissenschaftsmarketing nicht lösen. Wahrscheinlich ist das eine Utopie, denn das würde bedeuten, dass Innovationen in der Lehre (oder allgemeiner: der Kommunikation von Wissenschaft) ganz eng mit der Art, wie wir Forschen, zusammenrücken.

Zur Person
Prof. Dr. Tobias Jenert
Tobias Jenert ist Professor für Wirtschaftspädagogik mit dem Schwerpunkt Hochschuldidaktik und -entwicklung an der Universität Paderborn. Zudem war er als Jurymitglied für unsere Förderungen „Fokus Portale“ und „Fokus Netzwerke“ sowie in der wissenschaftlichen Begleitung des Lehrentwicklungsprogramms Lehren aktiv.
Wenn Sie zurückblicken: Was hätten Sie vor fünf Jahren gerne gewusst, was heute wichtig für Sie ist?
Spezifisch für unser Projekt: Wie viele engagierte und offene Forscherinnen und Forscher an unserer Universität sich mit hochschuldidaktischen Fragen beschäftigen. Dieses Netzwerk ist heute für mich eine unglaublich wichtige Quelle für Kraft und Inspiration, die ich gern schon früher gehabt hätte.
Was denken Sie, wie kann Lehre in fünfzehn Jahren aussehen?
Wieviel anders sah sie denn vor 15, 20 Jahren aus, als wir angesichts des Web 2.0 überzeugt waren, dass die Wissensvermittlung jetzt ganz sicher Schnee von gestern ist? Ich würde sagen, an der Oberfläche wird Lehre auch in 15 Jahren der heutigen sehr ähnlichsehen. Auf der Mikroebene wird sie stark von technologischen Helfern geprägt sein. Wünschen würde ich mir, dass es uns dabei gelingt, uns in der Lehre besser auf Studierende mit unterschiedlichen Hintergründen einzulassen, sie auf unsere Erkenntniswege mitzunehmen und sie als echte Diskussions- und Gestaltungspartner zu gewinnen.