Losverfahren zahlt sich aus
Ein Beitrag von Prof. Sören Krach und Finn Lübber
Die Vergabe von Lehr- und Forschungsmitteln gilt als Motor wissenschaftlichen Fortschritts – und zugleich als eines der größten Nadelöhre im akademischen System. Klassische Drittmittelverfahren sind aufwendig, teuer und oft nicht fair. Nur ein Bruchteil der eingereichten Anträge wird tatsächlich gefördert, während unzählige Stunden Arbeit und erhebliche gesellschaftliche Ressourcen im Bewerbungsprozess verloren gehen.
Genau hier setzt das Losverfahren an, das seit 2024 im Rahmen der „Freiraum“-Ausschreibung der Stiftung Innovation in der Hochschullehre erprobt wird. Interessierte reichen zunächst eine kurze Interessenbekundung ein, bevor das Los entscheidet, wer zum Vollantrag eingeladen wird. Dieser wird anschließend, wie in traditionellen Verfahren üblich, durch ein Peer-Review-Verfahren begutachtet, das über die zu fördernden Projekte entscheidet. Diese “frühe” Lotterie reduziert nicht nur den Aufwand für Antragstellende und Gutachtende erheblich, sie erhöht auch die Erfolgsaussichten des Vollantrags.
Deutliche Kostenreduktion
Unsere Forschung zeigt, dass bei den meisten Verfahren enorme gesamtgesellschaftliche Kosten entstehen, weil häufig nur etwa zehn Prozent aller eingereichten Anträge gefördert werden. Für „Freiraum“ bewarben sich im Jahr 2024 rund 6.000 Personen, von denen 500 per Losverfahren zur nächsten Stufe zugelassen wurden. Unter den final eingereichten Vollanträgen lag die Erfolgschance anschließend bei rund 30 Prozent – deutlich höher als im klassischen Peer-Review-Verfahren. Wie erwartet geht mit der Lotterie eine deutliche Kostenreduktion einher. Eine Simulation zeigt, dass sich die gesamtgesellschaftlichen Kosten um etwa 68 Prozent reduzierten – hauptsächlich, weil ausgearbeitete Vollanträge, die ansonsten abgelehnt worden wären, sehr große Kosten verursacht hätten.
Im Durchschnitt dauerte die Erstellung der initialen Interessenbekundung ca. 6 Stunden. Die Antragstellenden wurden dabei im Durchschnitt weitere 4,6 Stunden von ihren Kolleg:innen unterstützt. Die glücklichen Gewinner:innen der Lotterie, die durch das Los zum Vollantrag eingeladen wurden, investierten weitere knapp 40 Stunden in die Konzeption und Verschriftlichung des Antrags. Und auch hier wurden sie tatkräftig von ihren Kolleg:innen unterstützt – durchschnittlich über 33 Stunden pro Antrag. Aber nicht nur diese Arbeit muss in die Kalkulation aufgenommen werden: Auch die Gutachter:innen investierten im Mittel knapp zwei Stunden pro zu begutachtendem Antrag. Bei 500 gelosten Vollanträgen mit je drei Gutachten kommt somit schon ein beachtlicher Berg an Arbeit auf die Gutachter:innen zu.
Die Ergebnisse der Forschung zum „Freiraum“-Losverfahren sind kürzlich in einem Paper in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ (Open Access) erschienen.
Interessenbekundung verringert den Aufwand
Wenn man nun fragt, wer von den 6.000 Personen, die an der Interessenbekundung teilgenommen haben, bereit gewesen wäre, auch direkt einen Vollantrag einzureichen (ohne vorgeschaltete Lotterie), gehen diese Zahlen für die Erstellung und Begutachtung der Anträge dramatisch in die Höhe. Bei einem Fördervolumen von 50 Millionen Euro würde ein traditionelles Verfahren ohne Lotterie geschätzte 26.3% dieser Summe allein für die Antragserstellung und -bearbeitung verschlingen – und das bevor überhaupt ein Projekt starten kann. Mit einem vorgeschalteten Losverfahren sind es nur knapp 8.4%. Zudem werden diese Kosten im traditionellen Verfahren in weit größerem Maß durch Anträge verursacht, die später abgelehnt werden: Sie übersteigen die Kosten für geförderte Anträge um mehr als das 26-fache, während diese Kosten in der Variante mit der frühen Lotterie lediglich um etwa das 6,5-fache höher sind. Das Los spart also enorm viel Zeit und Ressourcen, die sinnvoll in andere Tätigkeiten fließen können.
Man kann aber auch die Frage stellen, wer es sich im akademischen System überhaupt leisten kann, mehrere Wochen oder Monate in die Erstellung eines Förderantrags zu investieren, wenn die Erfolgsaussichten nur bei rund 10% liegen. Was für Unterstützungsstrukturen sind dafür notwendig? Was braucht es, damit alle in der Wissenschaft vertretenen Gruppen ihrem Anteil entsprechend Anträge stellen?
Losverfahren baut Hürden ab
Auch hier überzeugt die frühe Lotterie: Der Anteil weiblicher Antragstellerinnen stieg um rund zehn Prozent, und bei den tatsächlich geförderten Projekten lag die Zunahme sogar bei 23 Prozent im Vergleich zu einem vorher genutzten Verfahren. Das lässt vermuten, dass das Losverfahren Hürden abbaut, die Frauen und Forschende mit weniger institutioneller Unterstützung eventuell bislang vom Bewerbungsprozess abgehalten haben. Diese Hürden können sichtbar sein im Falle von fehlenden Ressourcen, kürzeren Vertragslaufzeiten oder weniger Zeit durch u.a. Care-Arbeit. Sie können auch unsichtbar in dem Sinne sein, dass manche Menschen, die wiederholt strukturelle Benachteiligungen erlebt haben, nicht das Gefühl haben, eine Chance zu besitzen – und sich damit bei klassischen Verfahren erst gar nicht bewerben.
Natürlich gibt es auch Kritik am Lotterieverfahren. Einige Forschende befürchten, dass qualitativ hochwertige Projekte durchs Raster fallen könnten, wenn das Los entscheidet. Allerdings gehen auch im klassischen Peer-Review viele gute Ideen verloren – etwa, weil Lehrende und Forschende mit innovativen, aber riskanten Projekten sich gar nicht erst trauen, einen Antrag zu stellen. Vorherige Untersuchungen zeigen zudem, dass unkonventionelle Ansätze in traditionellen Verfahren oft benachteiligt sind. Ein Losverfahren schafft hier mehr Raum für kreative Ansätze.
Antragsverfahren trifft auf Zustimmung
Spannend ist auch die Akzeptanz: Rund die Hälfte aller Befragten bevorzugt das Losverfahren gegenüber reinem Peer Review. Besonders der geringere Aufwand der frühen Lotterie spielt hier eine wichtige Rolle. Der Anteil der Befragten, die Zufriedenheit mit dem „Freiraum“-Antragsverfahren äußerten, lag sogar bei 65%. Besonders positiv wird die Organisation des Verfahrens bewertet: Von der Kommunikation, dem transparenten Peer-Review bis hin zur sorgfältigen Kontrolle, dass keine Mehrfacheinreichungen erfolgen.
Das Losverfahren mit der frühen Lotterie ersetzt also nicht die Begutachtung wissenschaftlicher Qualität oder verteilt Forschungsgelder zufällig, sondern ergänzt die Verteilung auf intelligente Weise. Es filtert frühzeitig und zufällig, wer in die nächste Runde kommt – und schafft somit fairere und voraussetzungsärmere Startbedingungen für alle. Damit kommen diversere Ideen und Anträge zum Zuge und gleichzeitig werden Ressourcen geschont.
Zu den Autoren
Sören Krach
Professor
Sören Krach ist Professor für Soziale Neurowissenschaften an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Lübeck.
Foto ©Frieder M Paulus
Finn Lübber
Finn Lübber ist Doktorand in der AG Soziale Neurowissenschaften an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Lübeck. Er ist zudem Mitbegründer der Open Science Initiative Lübeck.
Foto ©Christoph Westenberger