Warum Lotterien Auswahlverfahren verbessern
Ein Beitrag von Prof. Sören Krach und Finn Lübber
Die Vergabe von Fördergeldern im Wissenschaftsbetrieb ist hart umkämpft. Wer Drittmittel bekommt, bestimmt die Forschungs- und Lehrthemen der Zukunft.
Die Verzerrungen in der Förderung
Wie diese Gelder vergeben werden, ist jedoch oft wenig transparent und unterliegt oftmals Verzerrungen, die sich auf unterschiedlichsten Ebenen im Prozess einschleichen können. Zum Beispiel werden bei einigen Organisationen während des peer-review-Verfahrens Name, Alter, Geschlecht und Institution der Antragstellenden offengelegt. Aus zahlreichen meta-wissenschaftlichen Studien ist jedoch bekannt, dass diese personenbezogenen Informationen die Entscheidungsfindung, bewusst oder unbewusst, beeinflussen. Und dies, obwohl sie nichts über die Qualität eines Forschungsantrags aussagen. Auch andere Faktoren, wie die potenzielle Neuartigkeit der Forschung, die vorgeschlagenen Methoden oder der Sprachstil, spielen eine entscheidende Rolle für die Annahme oder Ablehnung eines Antrages.
Diese Verzerrungen werden zu einem Zeitpunkt wirksam, an dem der Antrag schon geschrieben und eingereicht ist. Aber auch schon viel früher schleichen sich Verzerrungen und Ausschlüsse ein: Wer fühlt sich überhaupt aufgerufen, einen Antrag einzureichen und wer besitzt die Ressourcen bei Ablehnungsquoten von bis zu 90 Prozent, über Monate an einem Hochrisikoantrag zu feilen? Diese Ausschlüsse, die sich schon vor der eigentlichen Einreichung eines Antrages manifestieren, betreffen ebenfalls in größeren Ausmaß Personen, die historisch weniger privilegiert waren (d. h. aufgrund rassistischer Gründe, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität; siehe Antidiskriminierungsstelle des Bundes: AGG).
Freiraum 2025
Die Rolle der Lotterie
Um diese, teils unsichtbaren, Benachteiligungen zu reduzieren und die Diversität und den Einschluss bestimmter Personen oder Gruppen von Personen in der Mittelvergabe zu erhöhen, wird in einigen Ländern vermehrt die Lotterieentscheidung im Auswahlprozess eingesetzt. Diese Idee, die von verschiedenen Forschungseinrichtungen wie dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) oder der VolkswagenStiftung bereits umgesetzt wurde, ist vielversprechend. Das Los kann als ein Werkzeug zur Reduktion von Diskriminierung, aber auch zur Steigerung der Effizienz von Antragsverfahren eingesetzt werden. Allerdings stellt sich die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für den Einsatz einer Lotterie: Sollte am Ende zwischen den „Besten“ gelost werden oder wäre ein früherer Zeitpunkt eventuell deutlich fairer und kostengünstiger?
Wir schlagen vor, Lotterien bereits zu Beginn des Prozesses einzuführen und darüber entscheiden zu lassen, wer überhaupt einen Antrag zu einer bestimmten Ausschreibung einreichen darf. Die Idee der sogenannten „Pre-Lottery“ bietet mehrere Vorteile: Sie erhöht die Effizienz des Gesamtverfahrens, da weniger Ressourcen für die Vorbereitung von Anträgen verschwendet werden. Dies ist besonders wichtig, da der Aufwand, der in die Antragsstellung investiert wird, oft mit dem wissenschaftlichen Erfolg in keinem Verhältnis steht. Die „Pre-Lottery“ verringert zudem die Gefahr von Verzerrungen in den oben skizzierten Entscheidungsprozessen Die Verzerrungen können außerdem weiter minimiert werden, indem freigewordene Ressourcen durch die verringerte Zahl von Anträgen in ein qualitativ hochwertigeres und faireres Begutachtungsverfahren investiert werden.
Der Einsatz einer Lotterie zu Beginn des Antragsprozesses kann dazu beitragen, Verzerrungen und Kosten in der Mittelvergabe zu reduzieren und den wissenschaftlichen Fortschritt zu fördern. Auch wenn der Ansatz zunächst radikal erscheint, könnte es ein Schritt in Richtung einer gerechteren und effizienteren Mittelvergabe sein. Die Stiftung Innovation in der Hochschullehre setzt die Idee der „Pre-Lottery“ bereits im Kontext der Ausschreibung „Freiraum“ ein. Wir hoffen, dass weitere Förderinstitutionen diesen oder andere neue Wege hin zu einer gerechteren Mittelvergabe ausprobieren.
Zu den Autoren
Sören Krach
Professor
Sören Krach ist Professor für Soziale Neurowissenschaften an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Lübeck.
Foto ©Frieder M Paulus
Finn Lübber
Finn Lübber ist Doktorand in der AG Soziale Neurowissenschaften an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Lübeck. Er ist zudem Mitbegründer der Open Science Initiative Lübeck.
Foto ©Christoph Westenberger