Mehr als ein Werkzeug
Ein Beitrag von Raika Selle
Frau Prof. Dr. Schiefner-Rohs, ist die Nutzung von KI für Lehrende schon selbstverständlich?
Prof. Dr. Mandy Schiefner-Rohs: In meinem Umfeld beobachte ich unterschiedliche Lehrende. Einige nutzen bereits aktiv verschiedene KI-Tools in ihrer Lehre, insbesondere zur Erstellung von Lehrmaterialien. Andere stehen noch am Anfang oder sind skeptisch – sei es aufgrund technischer Herausforderungen, offener didaktischer Fragen oder ethischer Bedenken. Hinzu kommt eine gewisse Überforderung durch die rasante Entwicklung dieser Technologie. Dennoch wird zunehmend klar: KI ist gekommen, um zu bleiben, und sie wird (nicht nur) die Hochschullehre verändern.
An welchen Stellen können Lehrende KI gewinnbringend einsetzen? Und wo sehen Sie Risiken?
Schiefner-Rohs: Die Beantwortung dieser Frage ist nicht trivial, da geklärt werden muss, worüber genau gesprochen wird: Geht es um maschinelles Lernen, generative KI oder adaptive Lernsysteme? Die Einsatzmöglichkeiten sind ebenso vielfältig wie die KI-Systeme selbst. Einerseits kann KI helfen, Lernprozesse zu strukturieren und Studierende gezielt zu fördern. Ich habe dieses Semester mit Studierenden über ihre KI-Nutzung gesprochen. Sie berichteten, dass sie nicht nur Literaturlisten erstellen lassen, sondern mithilfe von KI auch Prüfungsfragen generieren, Inhalte in Podcasts umwandeln oder die generative KI als „Sparringspartner“ beim Lernen nutzen. Dies zeigt, wie KI personalisierte Lernunterstützung bieten kann. Andere Studierende wiederum nutzen KI nur rudimentär oder haben Bedenken bezüglich einer „falschen“ Anwendung. Hier sind Hochschullehrende gefordert, diese Ungleichheiten aufzulösen. Darüber hinaus gibt es noch mehr Einsatzmöglichkeiten: zum Beispiel in der Unterstützung bei der Erstellung von Lehrmaterialien, etwa durch automatische Zusammenfassungen oder Quizfragen, sowie in der Erleichterung der Kommunikation durch Sprach- und Übersetzungsdienste.
Bei all den Möglichkeiten besteht jedoch auch die Gefahr, dass Studierende (und auch Lehrende) zu sehr auf KI-gestützte Lösungen setzen und dabei ihre Eigenständigkeit sowie kritische Reflexionsfähigkeit vernachlässigen. Die Gefahr der algorithmischen Abhängigkeiten muss daher ebenso bewusst adressiert werden wie die Schwierigkeiten der Beurteilung mit Hilfe von KI. Lehrende stehen somit vor der Herausforderung, einen reflektierten und verantwortungsbewussten Umgang mit KI zu adressieren. Dies umfasst auch ethische Fragestellungen und eine kritische Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von KI auf Wissenschaft und Gesellschaft.
Zur Person
Prof. Dr. Mandy Schiefner-Rohs
Mandy Schiefner-Rohs ist Professorin für Pädagogik mit Schwerpunkt Schulpädagogik an der RPTU Kaiserslautern-Landau. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen insbesondere an der Schnittstelle von Medien- und (Hoch-)Schulpädagogik mit Fokus auf die Gestaltung von Bildungsinstitutionen im Kontext gesellschaftlicher Transformationsprozesse.
(Foto: Lars Kilian)
Hat sich durch KI etwas an der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden verändert?
Schiefner-Rohs: Ja, die Dynamik verändert sich, und beide Gruppen sind am Lernen und Ausprobieren. Hochschulen diskutieren intensiv über Prüfungen und mögliche Plagiate, doch oft, ohne die tiefergehenden Veränderungen in der Wissensproduktion zu berücksichtigen. Es geht nicht nur um KI als Technologie, sondern auch um gesellschaftliche Fragen: Überwachung, individualisierte Förderung und die damit verbundene Ungleichheit, Autonomie und Verantwortung. Welche Rolle spielen klassische Prüfungsformate noch, wenn Wissenschaft und Gesellschaft sich durch KI verändern? Der sogenannte „universitäre Dreikampf“ aus Hausarbeiten, Klausuren und mündlichen Prüfungen, wie es Gabi Reinmann formulierte, existiert nicht um seiner selbst willen. Dies sind Fragen, die es, auch gemeinsam mit Studierenden, zu adressieren gilt. KI in der Lehre ist zu kurz gedacht, wenn wir nicht auch KI in der Forschung und ihre gesellschaftlichen Implikationen mit einbeziehen. Erkenntnisproduktion verändert sich im Zusammenspiel mit KI, wie es übrigens historisch bei jeder neuen Medienentwicklung der Fall war. Daher ist es essenziell, an Hochschulen Räume für Austausch über diese Veränderungen sowie für ethische Fragestellungen zu schaffen.
Was bedeutet das für die Lehre und wie können Lehrende damit umgehen?
Schiefner-Rohs: Hochschulen stehen als Teil der Gesellschaft vor großen Veränderungen – und damit auch die Lehre und deren Gestaltung. Wir sollten KI nicht nur als Werkzeug betrachten, sondern als Anlass nehmen, grundlegende Fragen zu Gesellschaft, Hochschulbildung und Wissenschaft immer wieder neu zu stellen: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Welche Werte und Kompetenzen sollen nachfolgende Generationen entwickeln? Und welche Rolle spielt dabei mein Fach sowie der KI-Einsatz darin?
Dazu gehört nicht nur die Kompetenzentwicklung der Studierenden und Lehrenden (zum Beispiel durch KI-Weiterbildungsangebote, Peer-Learning-Communities oder Lehr-Lern-Experimentierräume), sondern auch die curriculare Integration von KI als Thema und Modus sowie die Weiterentwicklung didaktischer Konzepte und Prüfungsformate. Zudem sind ethische Standards für den KI-Einsatz in der Lehre und Forschung zu sichern und die Lehrorganisation und -verwaltung nicht aus dem Blick zu lassen.
Für Lehrende bedeutet dies insbesondere, dass sie eine hohe Ambiguitätstoleranz entwickeln müssen – also die Fähigkeit, Unsicherheit und Unstetigkeit auszuhalten, denn die Entwicklungen sind rasend schnell. Die Integration von KI erfordert daher einen offenen, kritischen und reflektierten Umgang mit neuen Technologien und eine kontinuierliche Reflexion ihrer Auswirkungen auf das Lehren und Lernen – nicht nur in der Hochschule.
NeL-AI-Week
Prof. Dr. Schiefner-Rohs referierte zu diesem Thema anlässlich der NeL-AI-Week im Rahmen unserer Kooperation „Konzertierte Weiterbildungen zu künstlicher Intelligenz in der Hochschullehre“ mit dem Netzwerk Landeseinrichtungen für digitale Hochschullehre (NeL). Wir und das NeL stellen wegen des großen Bedarfs an KI-bezogenen Qualifizierungs- und Unterstützungsmaßnahmen vielfältige Angebote zur Verfügung. Alle Informationen und weitere Termine der Reihe finden Sie auf unserer Website.
Zur Autorin
Raika Selle
Raika Selle ist Volontärin im Team Kommunikation der Stiftung Innovation in der Hochschullehre.