Beitrag vom
31.01.2022
Aufgaben für die Lehre im jahr 2022
Goldstaub aus einer schwierigen Zeit sammeln
Ein Beitrag von Prof. Dr. Evelyn Korn
Mit einem kleinen Blick zurück möchte ich einsammeln, was uns aus dieser Zeit an Inspiration und Erkenntnis bleiben, welcher Goldstaub gesammelt werden kann. Zu Beginn des Jahres 2020 war die Spannung in den Hochschulen, insbesondere in den Abteilungen, in denen hochschuldidaktische und Lehrthemen eine wichtige Rolle spielen, groß. Das letzte Jahr des Qualitätspakts Lehre (QPL) brach an, der Hochschulpakt 2020 ging ebenso seinem Ende zu und die Nachfolgeprogramme waren zwar angekündigt, die genaue Umsetzung jedoch noch unklar.
Die Toepfer-Stiftung hatte frisch den Zuschlag erhalten, die neue „abhängige Organisationseinheit“ für die Innovationen in der Hochschullehre zu gründen. Sie startete in das Jahr mit Think Tanks aus der Hochschulgemeinschaft, um vom Start weg mit den Akteur:innen in den Hochschulen verbunden zu sein. Die Länder befassten sich mit der Gestaltung des „Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken“, um die erfolgreichen Veränderungen, die der QPL in den Hochschulen ausgelöst hatte, nachhaltig dort zu verankern.
Kurzum: Überall war intensives Planen und Gestalten unterwegs.
Dann kam Corona – und plötzlich waren alle wichtigen Überlegungen zur qualitätsorientierten Entwicklung von Lehre und Studium und die Fragen, wie die QPL-Ergebnisse als Basis genutzt werden könnten, um einerseits auf dem erreichten Niveau flüssig weiterzumachen und andererseits weitere Innovationen zu entwickeln, in die zweite Reihe verbannt. Denn plötzlich ging es weniger um die Frage, wie gute Lehre aussehen könnte, sondern mehr darum, wie überhaupt Lehre stattfinden kann.
Größter Innovationsschub
Die Not, Neues ausprobieren zu müssen, hat auch viel Lust am Ausprobieren freigesetzt.
Das war nun einerseits ein denkbar schlechter Antreiber für Veränderung – andererseits der größte Innovations- und Veränderungsschub, den ich in meiner Zeit an der Universität erlebt habe. Denn die Not, Neues ausprobieren zu müssen, hat auch viel Lust am Ausprobieren freigesetzt. Was mich – mit Blick auf meine Heimatuniversität, die Philipps-Universität Marburg – dabei besonders gefreut hat, war das Zusammenspiel zwischen Lehrenden, Lernenden, Hochschuldidaktik und unserer Zukunftswerkstatt für die digitale Hochschullehre. Hier hat sich in den vergangenen vier Semestern ein Teamgeist entwickelt, den ich gerne länger in der Hochschule halten möchte.
Die Lehrenden haben – immer öfter auch angeregt durch studentisches Feedback oder durch von Studierenden eingebrachte und gestaltete Strukturen – begonnen, neue Konzepte des Lehrens und Prüfens zu entwickeln. Bei der Umsetzung dieser Konzepte werden sie durch die Mitarbeiter:innen aus Hochschuldidaktik und digitaler Zukunftswerkstatt sowohl in der didaktischen Gestaltung als auch bei der Entwicklung und Umsetzung technischer Fragen begleitet. So hat sich das Bild des „Instructional Designers“ – einer Rolle, die wir bereits vor der Pandemie an der Philipps-Universität angesiedelt hatten – im Laufe der letzten beiden Jahre ausgeschärft und im Angebot der Lehrunterstützung fest etabliert. Gleichzeitig hat sich die Wichtigkeit von studentischem Feedback zu Lehrformen und Interaktionskonzepten – und einem sich anschließenden auswertenden Gespräch zwischen Lernenden und Lehrenden darüber – gezeigt. Ich bin noch immer begeistert, wenn ich sehe, was hier gemeinsam möglich wird und wie dadurch der Raum zum Lernen wächst. Und hier gibt es eine Menge Goldstaub zu sammeln.
Dieses Sammeln war (und bleibt noch) eine intensive Tätigkeit an meiner eigenen Hochschule – denn natürlich war die Aufgabe, diese aufregenden und zum Teil beglückenden Veränderungsprozesse in der Lehre in eine Gesamtsituation einzupassen, die alles andere als beglückend ist und viele Mitglieder der Uni an den Rand ihrer persönlichen Belastbarkeit gebracht hat, durchaus herausfordernd.
Zum Leuchten bringen
Fast 140 Projekte haben begonnen, neue Ideen für die digitale und digital gestützte Lehre zu entwickeln und umzusetzen.
Die Intensität wurde für mich zusätzlich durch die Chance verstärkt, als Vorstand Wissenschaft der dann im November 2020 gegründeten Stiftung Innovation in der Hochschullehre den Veränderungsprozess im gesamten Hochschulsystem zu begleiten und mitzugestalten. Ein bisschen verrückt hat es sich schon angefühlt, mitten im Aufrieb der Pandemie diese Aufgabe zu übernehmen – sie erfüllt mich immer noch mit großem Respekt. Die Hoffnung, durch die Arbeit der Stiftung das gemeinsame Engagement für die Entwicklung von Lernen zu befördern – und so zum Leuchten zu bringen – ist mein Antreiber.
Mit der vorgezogenen ersten Förderbekanntmachung der Stiftung ist für viele Hochschulen die Chance entstanden, die Erfahrungen der Krise zu nutzen, um ihre Lehre mit genau dem richtigen Maß an Digitalität zu stärken. Fast 140 Projekte haben seit August begonnen, neue Ideen für die digitale und digital gestützte Lehre zu entwickeln und umzusetzen und sich mit der Frage zu befassen, wie sich Studium und Lehre in den nächsten Jahren auch inhaltlich und strukturell verändern werden. Um im Bild des Goldstaubs zu bleiben: Ihn zu nehmen und so in das Gewebe von Lehren und Lernen einzuweben, dass das Lernen mehr Glanz und Funkeln erhält.
Erstes Glitzern dieses Goldstaubs ist bereits sichtbar geworden – in den Berichten der Projekte auf der Seite der Stiftung, beim University:Future Festival 2021, in den Kick-Off- und Vernetzungsveranstaltungen der beteiligten Hochschulen.
Kapazitäten bleiben knapp
Nun wird die zusätzliche Arbeit in der Lehre, die durch Abstandsgebote, Umsetzung von 2G- und 3G- Regeln und Impfkampagnen sowie die weiter andauernde Notwendigkeit hybrider Formate entsteht, auch das vor uns liegende Jahr prägen. Die Kapazitäten zum Goldstaubsammeln werden knapp bleiben. Gleichwohl sehe ich darin die wichtigste Aufgabe für die Lehrenden, Lernenden und alle, die sie begleiten und unterstützen: Die Geduld und die Freude zu behalten, die wertvollen Erkenntnisse und neuen Wege der letzten vier Semester sichtbar zu machen und so auszugestalten, dass sie für viele Mitglieder der Hochschulen nutzbar werden.
Und damit wird womöglich das Ziel aus dem Frühjahr 2020 doch greifbar: Den Hochschulen zu verdeutlichen, wie gut sie daran getan haben, die Qualität der Lehre als eigene Entwicklungsaufgabe zu betrachten, die Personal und Aufmerksamkeit braucht.
Zur Autorin
Prof. Dr. Evelyn Korn
Vorstand Wissenschaft
ist Vorstand Wissenschaft der Stiftung. Sie ist Vizepräsidentin für Universitätskultur und Qualitätsentwicklung an der Philipps-Universität Marburg. Seit 2004 hat sie dort die Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomie inne.