Beitrag vom
18.07.2022
Lehre nach Corona
Ein Sommer in Präsenz
Ein Beitrag von Prof. Dr. Evelyn Korn
Ein bisschen aufgeregt waren wir ja alle vor dem Sommersemester: Wird es wirklich klappen, wieder im alten (Vor-Corona-)Umfang in die Präsenzlehre einzusteigen? Wie lange werden wir durchhalten, bis dann doch die nächste Welle kommt und uns zurück in die Kacheln zwingt? Und wie wird es sein, plötzlich wieder so vielen Menschen zu begegnen? Werden denn Lehrende und Studierende überhaupt kommen?
Nun geht das Semester seinem Ende entgegen und ein paar Erkenntnisse lassen sich sammeln. Eine umfassende Auswertung wird – wie für die Erfahrungen der gesamten Pandemielehre – einen tieferen Blick und vor allem noch etwas Zeit brauchen.
Aufregung des Anfangs
Die Aufregung des Anfangs war schnell in eine produktive Suche nach der Lösung für viele Fragen verwandelt. Die weit überwiegende Emotion in Lehrveranstaltungen ebenso wie im studentischen Leben und unter den Wissenschaftler:innen war Freude – endlich wieder mit anderen Menschen sein zu können, im wissenschaftlichen Austausch mehr als nur zweidimensionales Bild und Ton zu nutzen, aus zufälligen Begegnungen unerwartete Eindrücke mitzunehmen und nicht zuletzt, endlich wieder ausgelassen feiern zu können.
Diese Freude war und ist wichtig. Daneben sind jedoch auch schwierige Erfahrungen auszuwerten. Drei davon möchte ich im Folgenden in den Blick nehmen.
Lehre immer hybrid?
Viele Studierende hatten noch nicht wieder Wohnungen am Hochschulstandort – angesichts hoher Mieten hatten viele auf ein verlässliches Signal gewartet, dass sich die Ausgabe wirklich lohnen würde. So war es zu Beginn des Semesters einfach nötig, sowohl Präsenz- als auch Distanzangebote zu haben. Darauf waren nicht alle Lehrenden eingestellt, was durchaus zu dem ein oder anderen Konflikt und zur grundsätzlichen Frage geführt hat, warum nicht alle Lehrveranstaltungen künftig „hybrid“ – hier in der Bedeutung, dass Veranstaltung in der Präsenz mit parallelem Live-Stream – angeboten werden. Schnell wurde dieses Thema auf die Frage nach der Ausstattung reduziert. Ob denn ein hybrides Angebot aller Lehre den fachlichen und persönlichen Entwicklungszielen einer Veranstaltung gerecht werden kann, wurde zunächst nicht diskutiert.
Es braucht eine verlässliche Zusage der Politik, dass alle Hochschulen im Wintersemester offenbleiben werden, damit Studierende sicher eine Wohnung nehmen können.
Aus diesem Aspekt des Sommersemesters lassen sich zwei Einsichten mitnehmen:
Es braucht einerseits eine verlässliche Zusage der Politik, dass alle Hochschulen im Wintersemester wirklich offenbleiben werden, damit Studierende sicher eine Wohnung nehmen können. Es ist andererseits eine Diskussion über die Frage, wo hybride Lehre eine hilfreiche Unterstützung für die freie und an anderen Lebensaufgaben angepasste Studiengestaltung ist und für welche Arten von Veranstaltungen ein Primat der Präsenz gelten können muss.
Aus dieser Analyse lässt sich dann ermitteln, welche Ausstattungen in den Hochschulen gebraucht werden – und welcher zusätzliche Finanzbedarf damit in der Wissenschaftspolitik eingeplant werden muss. Denn dass Ausstattung, Wartung und zielführender Einsatz digitaler Lehrtechnologien eine zusätzliche Aufgabe für die Wissenschaft sind, ist mittlerweile sicher allen klar.
Rückkehr fiel schwer
Eine zweite Erfahrung ist wichtig. Es ist vielen schwer gefallen, in einer Situation auf den Campus zurückzukehren, in der die Covid-Inzidenzen sehr hoch waren. Sogar deutlich höher als zu der Zeit, in der Präsenzlehre in Unis und Hochschulen verboten oder durch strikte Regeln nahezu unmöglich war. Der Großteil der Studierenden und der Lehrenden hat diesen Weg gefunden. Nicht zuletzt, weil es an vielen Standorten einen guten Ausgleich zwischen dem berechtigten Wunsch nach Freiheit (keine Maske tragen müssen und sich ohne Abstand begegnen dürfen) und dem ebenso berechtigten Wunsch nach Schutz der eigenen Gesundheit oder derjenigen von Familie und Freunden gegeben hat. Auch hierum ist oft hart und mitunter unter Hinzuziehung von Gerichten gerungen worden. Noch unsichtbar ist bisher die Gruppe derjenigen Studierenden, die wir auf dem Weg durch die Pandemie verloren haben oder denen bisher der Mut oder die Mittel für den Schritt zurück ins Studium fehlen.
Auch aus dieser Erfahrung lassen sich Lehren für den Winter ziehen: Unis und Hochschulen sind Orte der Wissenschaft. Und die zeichnet sich im Ideal durch einen in der Sache klaren und im Ton freundlichen Wettstreit von Ideen aus – damit um das Offenbaren der eigenen Annahmen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen und (!) das Zuhören und Aufnehmen der Gedanken der anderen, mithin also durch Gespräch. Diese Form des offenen Gesprächs ist nötig, um auch im vor uns liegenden Winter, der neue Covid-Varianten erwarten lässt, Regeln zu finden, die ein gemeinsames Sein und Arbeiten auf dem Campus ermöglichen. Unterstützende Rahmenregulierung aus der Politik ist hier hilfreich und wichtig.
Es braucht mehr Informationen, warum Studierende in den letzten Semestern ihr Studium aufgegeben haben und ob es Häufungen in bestimmten Gruppen gibt.
Zusätzlich braucht es mehr Informationen, warum Studierende in den letzten Semestern ihr Studium aufgegeben (oder ohne bisherige Rückkehr unterbrochen) haben und ob es Häufungen in bestimmten Gruppen von Studierenden gibt (wofür einige Hinweise sprechen). Aus einer solchen Analyse ließen sich Erkenntnisse darüber gewinnen, was an der Struktur von tertiärer Bildung geändert werden muss, um wirklich eine Entfaltung des Potenzials aller jungen Leute zu ermöglichen.
Entsetzen über den Krieg
Nicht zuletzt muss ein Rückblick auf die Hochschullehre im Sommersemester auch die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine in den Blick nehmen. So, wie das Entsetzen darüber, dass es wieder Krieg in Europa gibt, die ganze Gesellschaft schockiert hat, hat es auch die Unis und Hochschulen getroffen.
An den meisten Institutionen sind Studierende sowohl aus der Ukraine als auch aus Russland eingeschrieben. Viele Unis und Hochschulen haben wissenschaftliche Kontakte in beide Länder. Das Wort „Außenwissenschaftspolitik“ haben viele von uns in diesem Sommer zum ersten Mal gehört. Bis dahin war die – unausgesprochene – Annahme, dass Internationalisierung in der Wissenschaft in Europa unabhängig von Konflikten entwickelt werden kann.
Nun zeigt sich, dass nicht einmal Solidarität mit den Angegriffenen „einfach“ ist: Unis und Hochschulen haben nach Ausbruch des Krieges sofort nach Möglichkeiten gesucht, geflüchteten Studierenden und Wissenschaftler:innen einen sicheren Aufenthalt zu ermöglichen. Netzwerke zur Schaffung eines digitalen Angebots für die ukrainische Hochschullehre wurden geschaffen. Dabei galt es nicht nur finanzielle Hürden zu überwinden, sondern auch einen gerechten Umgang zwischen allen Gruppen von Geflüchteten zu finden. Alle Beteiligten – Mitglieder deutscher Unis und Hochschulen, egal welcher Nationalität, ebenso wie die Geflüchteten – haben hier gemeinsam viel erreicht und gezeigt, zu welcher Solidarität das Wissenschaftssystem fähig ist.
Auch hier ist die Frage für den Winter, wie ein gutes Verhältnis zwischen (digitaler) Lehre auf Distanz und Unterstützung der Unis und Hochschulen vor Ort aussehen kann und was wir aus den Distanzerfahrungen der letzten Jahre nutzen können.
Zur Autorin
Prof. Dr. Evelyn Korn
Vorstand Wissenschaft
ist Vorstand Wissenschaft der Stiftung. Sie ist Vizepräsidentin für Universitätskultur und Qualitätsentwicklung an der Philipps-Universität Marburg. Seit 2004 hat sie dort die Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomie inne.