Warum Veränderungskompetenz zentral ist
Ein Beitrag von Nele Hirsch
Unsere heutige Gesellschaft wird oft als VUCA-Gesellschaft charakterisiert. VUCA steht für volatility (Volatilität), uncertainty (Ungewissheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Ambiguität). In einer solchen VUCA-Gesellschaft sind Veränderungen keine Ausnahme, sondern die Regel. Diese Veränderungen können zum Beispiel durch technologische Entwicklungen ausgelöst werden, wie wir es aktuell in der Debatte über Künstliche Intelligenz erleben. Veränderungskompetenz ist dann zunächst einmal eine Form von Resilienz. Sie ermöglicht es Lernenden, mit diesen Veränderungen umzugehen, sich nicht hilflos zu fühlen und kontinuierlich Neues zu lernen.
Aktive und initiierende Veränderungskompetenz
Gleichzeitig gibt es jedoch eine weitere Bedeutung von Veränderungskompetenz. In dieser zweiten Lesart liegt der Fokus nicht nur darauf, dass Menschen konstruktiv und gestaltend auf Veränderungen reagieren. Stattdessen sollen sie befähigt werden, von sich aus Veränderungsbedarf zu erkennen und Veränderungen gemeinsam mit anderen anzustoßen.
Die Bedeutung einer solchen aktiven und initiierenden Veränderungskompetenz wird deutlich, wenn wir uns bewusst machen, wie sehr wir als Gesellschaft und auch als Menschheit immer mehr an unsere Grenzen stoßen. Dies wird besonders offensichtlich vor dem Hintergrund der Klimakrise, aber auch die Corona-Pandemie oder die zunehmenden außenpolitischen Herausforderungen zeigen: Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher, wenn wir das Ziel verfolgen, für uns und für andere jetzt und in Zukunft ein gutes Leben zu ermöglichen.
Von Vermittlung zu Entwicklung
In der Bildung stehen wir vor großen Herausforderungen. Während es im Zeitalter des Buchdrucks noch ausreichte, einen feststehenden Wissenskanon und die damit verbundenen Fähigkeiten von einer Generation an die nächste weiterzugeben, müssen wir in einer Gesellschaft, die von Krisen geprägt ist, von einer reinen Vermittlung zur Entwicklung kommen. Wir müssen anerkennen, dass es keine fertigen Antworten auf die neuen Herausforderungen gibt, die wir Lernenden einfach weitergeben könnten. Stattdessen gilt es, gemeinsam anders zu denken, neue Lösungen zu entwickeln und diese umzusetzen.
Nele Hirsch auf dem University:Future Festival
Nele Hirsch ist Pädagogin in dem von ihr gegründeten eBildungslabor. Sie unterstützt und berät Schulen, Hochschulen, Einrichtungen der Erwachsenenbildung und zivilgesellschaftliche Organisationen bei der Gestaltung von guter Bildung in einer zunehmend digital geprägten Gesellschaft. Ihre Schwerpunkte sind innovative Lernformate, kollaborative und kreative Lernmethoden, Open Educational Resources (OER) und Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE).
Ihre Keynote hält sie auf der Berliner Mainstage am 06. Juni. Mehr Infos auf der Programm-Seite des U:FF.
Drei Aspekte sind für mich besonders entscheidend:
Erstens gilt es, Lernende dazu zu motivieren, überhaupt aktiv zu werden. Dazu ist es notwendig, dass sie die Wunder unserer Erde und die erreichten menschlichen Errungenschaften erleben. Das mag pathetisch klingen, aber ohne ein damit verbundenes Staunen entwickelt sich nicht die Begeisterung, die es braucht, um für etwas einzutreten und neue Wege zu gehen.
Zweitens müssen Lernende in Lernprozessen konkrete Erfahrungen von Selbstwirksamkeit machen. Sie müssen lernen, dass sie selbst einen Unterschied machen können. Fehlt dieses Erleben, trauen sie sich nicht zu, Veränderungen anzustoßen.
Drittens braucht es eine Haltung eines Growth Mindsets. Das bedeutet individuell das Vertrauen, dass man selbst sicherlich vieles noch nicht kann, aber lernen kann. Und dass es genauso auch im größeren Kontext gemeinsam gelingen kann, unsere Gesellschaft zu einer besseren Gesellschaft zu gestalten.
Lernprozess im Fokus
Diese drei Aspekten zeigen, dass wir es bei Veränderungskompetenz sehr viel mit Haltungen zu tun haben. Um solche Haltungen in Lernprozessen zu entwickeln, wird die Art und Weise der Gestaltung von Lernprozessen wichtiger, während die Lerninhalte eher in den Hintergrund treten.
Entscheidend bei dieser Gestaltung von Lernprozessen ist insbesondere, dass Lernende ermutigt werden, ihre eigenen Fragen und Erfahrungen einzubringen. Ausgangspunkt für das Lernen sollte die intensive Auseinandersetzung mit der Gegenwart mit all ihren Herausforderungen und Widersprüchen sein, denn genau dadurch wird Zukunft gestaltet. Lehrpersonen müssen sich dabei immer zugleich auch als Lernende verstehen. Und ganz entscheidend ist außerdem, dass pädagogische Gestaltung Vielfalt wertschätzt, denn nur durch Kollaboration und Perspektivenvielfalt sind in einer vernetzten und komplexen Gesellschaft Veränderungen möglich.
Zur Autorin
Nele Hirsch
ist Bildungswissenschaftlerin mit dem Fokus auf Lernen unter den Bedingungen der Digitalität