Planen, Vertrauen und Angst
Ein Beitrag von Timo van Treeck
Wir hatten die TURN Conference als ein Experiment, als ein Produktlabor angelegt. Dafür waren wir darauf angewiesen, dass die Teilnehmenden mit Experimentierfreudigkeit, Offenheit und Mut einen gemeinsamen Blick in die Zukunft der Lehre wagen. Für den Rückblick im Team hat es uns im Zentrum für Lehrentwicklung vor allem diese Wortwolke angetan.
Es sind Schlagworte aus der Evaluation der Tagung, Antworten auf die Frage: “Was hat ihnen auf der TURN gefallen?”. Eine Grafik, die in unseren Büros jetzt so präsent ist, dass wir sie bei vielen Gelegenheiten immer wieder gerne sehen – zusammen mit den vielen wirklich schönen Impressionen von gelebtem Austausch, anregenden Diskussionen und der Freude am Entwickeln.
Aber es ging nicht nur um positive Aspekte auf der Tagung, sondern auch um die ernsthafte Auseinandersetzung mit Lehre und Hochschulentwicklung und um die Frage, was Innovation und Transformation an Hochschulen behindern kann, mit harten und wichtigen Bedenken.
Das sind Antworten der Teilnehmenden auf die Frage: „Was kann Innovationen und Transformation an Hochschulen hindern?“ Bürokratie, Misstrauen, Hierarchie, Statusdenken, Konkurrenz, Druck, Machtstrukturen, Angst, Konventionen und Einzelgängertum: Viele dieser Worte sind mit starken Emotionen verbunden, vielleicht mit der Angst, in so einem wichtigen Feld wie der Bildung nicht wirksam werden zu können, und dem Vertrauen, sich trotzdem darauf einzulassen. Und wenn man sie vor dem Hintergrund der Keynote von Isa Jahnke zu Beginn der Tagung betrachtet, sind sie vermutlich ein wichtiger und ehrlicher Gegenpol zum Planen und Prüfen, das heißt zum Design von Bildungsprozessen und -veränderungen.
Angst und Mut
Vertrauen und Angst? Gehören Gefühle und gerade diese überhaupt zu Hochschullehre und Hochschulentwicklung, zum Motto „Prototyp Zukunft – Lösungen für transformative Lehre teilen“? Sicherlich. Echte Auseinandersetzung mit der Zukunft ist immer eine Auseinandersetzung mit Ungewissheit, Transformation gerade angesichts der vielen gesamtgesellschaftlichen, gar weltweit auftretenden und zu bearbeitenden Krisen.
Angst als Gegensatz zu Mut, als etwas, das man nicht eliminieren kann, wenn es um echte Bildungsprozesse geht, auf das man aber den Blick richten kann, Strategien zum Umgang mit der Ungewissheit bei unbekannten Problemen, Lösungen, Methoden oder der Zukunft allgemein. In seiner Keynote zu Offenheit und Mut ließ Oliver Reis die Zusammenhänge von Mut und Zweifel vor dem Hintergrund von Steuerbarkeit und Kontingenz erleben. Im CleanUp griff er das Thema wieder auf, weil er zufällig eine Karte aus dem Publikum dazu zog: “Angst ist in jedem System drin, wie kanalisieren wir sie? Wo ist Lehre zu sehr angstvermeidend?”
Caroline Richter lenkte den Blick auf Vertrauen als einen Rahmen, als eine Beziehungsgrundlage für Bildung, für das Verhältnis zur Zukunft, Vertrauen auf eine (wie groß sie auch sein mag) Gestaltbarkeit von Zukunft, von Herausforderungen, von Lehrentwicklungen und Organisationen.
Produktiv werden diese Gefühle in der Auseinandersetzung mit der Zukunft vor allem durch eine entwickelnde Perspektive, wie sie Isa Jahnke deutlich machte. Mit einem dringenden Aufruf, sich mit der Forschung zur Lehre auseinanderzusetzen, zum Beispiel mit der im Nachgang noch getwitterten Literaturempfehlungsliste. Vielleicht so selbstverständlich, aber doch so wichtig. Sicher kein empirischer Paradigmenwechsel in Lehre und Hochschulentwicklung, aber ein wichtiger Anstoß zum Einlassen auf Planen, Prüfen und Vertrauen auf die Menschen in den Bildungsprozessen – was wohl immer auch mit ein wenig Angst einhergehen kann.
Kultur des Teilens
Und zum Abschluss: Die unmittelbar sichtbaren Ergebnisse der TURN Conference 2023 sind zum Teil jetzt schon dokumentiert. Die Aufzeichnungen der Keynotes, 66 Uploads auf die Webseite, Beiträge, die von der Community als Lösungen, Anregungen oder Ideen gesichtet, transferiert oder auch nur wahrgenommen werden können. Mit so vielen hatte ich nicht gerechnet, vor allem nachdem am Abend des zweiten Konferenztages zunächst Unsicherheit, Zögern oder schlicht Desinteresse (oder Angst?) vorzuherrschen schienen, auch wegen offener Fragen. Spontan haben wir da den Upload um zwei Wochen verlängert – kurz innegehalten, unseren Plan geprüft und angepasst und darauf vertraut, dass noch etwas kommt. Und die Ergebnisse lassen sich sehen. Da sind einige Beiträge, in denen die Tagungsanregungen transparent gemacht werden, manches ist sogar offensichtlich erst auf der Tagung entstanden. Foliensätze sind aufrufbar, ganze Artikel und zum Teil auch Materialien unter offener Lizenz.
Für eine weitere Ausarbeitung und Verbreitung der Tagungsergebnisse bereiten wir Publikationen über die Schriftenreihe Forschung und Innovation in der Hochschulbildung (FIHB), ein Sonderheft des Neuen Handbuch Hochschullehre, Das Hochschulwesen sowie den Patternpool vor. Dann zeigt sich auch in dokumentierter Form, wie stark die Auseinandersetzung mit den Konzepten Scholarship of Teaching and Learning, Entwurfsmuster und Open Educational Resources war. Eine Kultur des Teilens gab es definitiv auf der Tagung, auch Strukturen und Zeit dafür.
Zum Autor
Timo van Treeck
Timo van Treeck ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Lehrentwicklung an der TH Köln und hat gemeinsam mit Dr. Birgit Szczyrba die wissenschaftliche Leitung der TURN Conference 2023 inne.