Beitrag vom
27.06.2022
Jahresprogramm 2022
Klappe, die erste - Film ab!
Ein Beitrag von Dr. Esther Bishop
Das Drehbuch
Angesichts der Entwicklungen der politischen Lage tritt das Thema Nachhaltigkeit aktuell vermeintlich in den Hintergrund. Doch schon jetzt ist absehbar, dass der Ukraine-Krieg die Bedeutung nachhaltigen Handelns noch einmal erhöht und es wichtig ist, die Krisen zusammenzudenken. Das ist der Ausgangspunkt für unser aktuelles Jahresprogramm.
Neben den großen Projektförderungen wie beispielsweise „Freiraum 2022“ wollen wir auch eigene kleine Programme anbieten. Sie sollen Hochschulangehörige unterstützen, die sich in besonderer Weise für die Weiterentwicklung von Lehre engagieren möchten. Sie beinhalten dann keine finanzielle Förderung, sondern die Teilnahme an mehreren Workshops über einen längeren Zeitraum. Dabei spielen sowohl die Inhalte der Workshops als auch die Entwicklung einer langfristig bestehenden Community – also die Gruppe der Teilnehmer:innen – eine wichtige Rolle.
Der thematische Schwerpunkt für das erste Jahresprogramm sollte Nachhaltigkeit im Kontext von Hochschullehre werden. Fest stand von vorneherein, dass sich das Programm an alle Hochschulangehörigen richten sollte, die nachvollziehbar darzustellen vermögen, dass sie durch ihre berufliche Position etwas zur Weiterentwicklung des Themas beitragen können.
So spannend und lohnenswert die Mischung von Akteursgruppen ist, so problematisch wird sie für die Auswahl von Teilnehmer:innen.
Allein hauptamtliche Professor:innen gibt es in Deutschland ca. 36.000. Das Programm ist für maximal 35 Personen gedacht. Mit dem Einbeziehen von Student:innen in die Konzeption des Programms verschärft sich das Problem, es kommen weitere knapp drei Millionen Personen hinzu.
Welche Mechanismen ließen sich also für den Bewerbungsprozess denken, um besonders motivierte und gut qualifizierte Personen auszuwählen?
Die Wahl fiel auf Videobewerbungen von maximal drei Minuten Länge und einigen sehr kurzen schriftlichen Abfragen zu beruflicher Position und Werdegang. Die Videos haben wir durch mehrere Fragen strukturiert:
• Welchen Zugriff haben Sie in Ihrem aktuellen Tätigkeitsfeld auf Nachhaltigkeit im Kontext von Lehre und Lehrentwicklung?
• Was bringen Sie in die Gruppe mit und was suchen Sie?
• Welches Verständnis von Nachhaltigkeit ist für Sie am tragfähigsten, praktischsten oder anwendbarsten?
Zusätzlich sollte unter den folgenden Fragen eine weitere ausgewählt werden:
• Welche Gewissheit haben Sie zuletzt in Frage gestellt?
• Wie macht man den ersten Schritt aus der Analyse des Problems zu einer praktischen Lösung? Erzählen Sie uns von einem Beispiel, an dem Sie beteiligt waren.
• Wir befinden uns in einer großen Transformationsphase. Wenn Sie die Transformation allein gestalten würden, was würden Sie tun?
Wir wollten Personen identifizieren, die Lehre gestalten wollen und sich mit ihrer Rolle in einer Gruppe und dem größeren Zusammenhang von Hochschulentwicklung einordnen können. Mit den Wahlfragen sollte die Möglichkeit geboten werden, abseits der üblichen Bewerbungsprosa einen persönlichen Eindruck zu hinterlassen.
Die Videobewerbungen wurden dann einer neunköpfigen, sehr heterogen aus verschiedenen Akteursgruppen und Fachdisziplinen, hochschulinternen und -externen Personen zusammengesetzten Jury vorgelegt. Ihnen wurden einige Bewertungskriterien an die Hand gegeben, aus denen die Juryangehörigen Bewertungen von A-D ableiten konnten.
Am Set
Bemerkenswert war, dass sich besondere oder aber mangelnde Kreativität nicht notwendigerweise in der Bewertung der Jury niedergeschlagen hat.
Soweit das Drehbuch – am Set ließen wir uns dann von der Umsetzung der Bewerber:innen überraschen. Bemerkenswert war, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Videos – einige ausgesprochen kreativ, andere als Aufnahme einer Person am Schreibtisch mit Headset – sich besondere oder aber mangelnde Kreativität der Umsetzung nicht notwendigerweise in der Bewertung der Jury niedergeschlagen hat. Es scheint also trotz des gewollten Schwerpunkts auf einem persönlichen Eindruck gut möglich zu sein, Form, Inhalt und persönlichen Eindruck zu trennen. Gerade bei den besonders gut bewerteten Videobewerbungen fällt indes auf, dass diese drei Faktoren stimmig zueinander passen.
Eine weitere interessante Beobachtung war die Einigkeit der Jurymitglieder bei der Bewertung der Videobewerbungen. Persönliche Sympathien oder fachliche Nähe scheinen also weniger stark eine Rolle gespielt zu haben, als vorstellbar gewesen wäre.
Überrascht hat uns, wie hoch der Grad der empfundenen Nähe zu den Bewerber:innen gewesen ist. Das wurde spürbar, als es um die leider notwendigen Absagen ging. Es ist definitiv einfacher Personen abzusagen, die man lediglich auf dem Papier kennengelernt hat.
Wird es einen Teil 2 geben?
Natürlich stellt sich im Anschluss an das Experiment die Frage, ob es eine Fortsetzung geben wird. Wir stellen fest, dass sich das Vorgehen gerade für ein Programm, in dem die Überzeugungs- und Schaffenskraft von Einzelpersonen so wichtig ist, ausgesprochen gut eignet. Bei unserem Jahresprogramm geht es nicht nur um die Förderung von Einzelpersonen, sondern ganz besonders auch um das Bilden einer langfristigen Community of Practice. Gerade dafür ist es sehr sinnvoll, einen persönlichen Eindruck von den Bewerber:innen bei der Auswahl zu berücksichtigen. Ob sich das Format auch für andere Bewerbungskonstellationen denken ließe, halten wir nicht für ausgeschlossen.
Die Bewerber:innen hätten mehr Raum für die überlegte Gestaltung anstelle stressiger, mit hohem Erwartungsdruck belegter Präsenzinterviews.
Man könnte sogar darüber nachdenken, klassische schriftliche Bewerbungen oder Vorstellungsgespräche zu ersetzen. Ein Vorteil wäre, dass man Videos asynchron sichten kann. Die Bewerber:innen auf der anderen Seite hätten mehr Raum für die überlegte Gestaltung eines ersten Eindrucks anstelle stressiger, mit hohem Erwartungsdruck belegter Präsenzinterviews. In jedem Falle haben unsere ersten Erfahrungen mit Videobewerbungen die Lust am Experiment gestärkt. Die Rückmeldungen der Bewerber:innen stehen noch aus, sie werden für die abschließende Bewertung mit ausschlaggebend sein.
Zur Autorin
Dr. Esther Bishop
Referentin Austausch & Vernetzung
ist Referentin für Austausch & Vernetzung der Stiftung Innovation in der Hochschullehre.