Beitrag vom
18.07.2023
TURN Conference 2023
Die eigene Lehre erforschen
Ein Beitrag von Antonia Hildebrandt
Frau Vöing, was genau macht Scholarship of Teaching and Learning aus?
Nerea Vöing: Scholarship of Teaching and Learning ist die systematische Untersuchung der eigenen Lehre durch Fachwissenschaftler:innen, die keine Bildungsforschung machen oder Didaktiker:innen sind. Sie formulieren eine Forschungsfrage, entwickeln ein Forschungsdesign, machen eine Forschungsstandsanalyse und beziehen das in die Weiterentwicklung ihrer Lehre mit ein. Das kann im Rahmen von Weiterbildungen stattfinden, aber auch in ganz anderen Formaten.
Die Formulierung der Forschungsfrage geht häufig von dem Wunsch aus, eine didaktische Innovation umzusetzen, etwas in der eigenen Lehre zu verändern, bestenfalls zu verbessern. SoTL hilft zu überprüfen, ob die Ziele, die man sich gesetzt hat, auch erreicht werden. Es geht aber über die reine Evaluation hinaus, es ist eine tiefgehende und reflektierende Betrachtung der eigenen Lehre.
Ein wichtiger Bestandteil von SoTL ist außerdem das „going public and sharing knowledge“. Das heißt, dass man die Erkenntnisse, die man generiert hat, nach außen trägt, dass man sie der Community, dem eigenen Fachbereich und darüber hinaus zu Verfügung stellt und sie diskutiert und gegebenenfalls Anknüpfungspunkte für weitere Projekte formuliert.
Zur Person
Dr. Nerea Vöing
Nerea Vöing ist Expertin für SoTL. Sie leitet die Stabsstelle Bildungsinnovationen und Hochschuldidaktik der Universität Paderborn und ist Vorstandvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik.
Wie kann das den Transfer erleichtern?
Vöing: Transfer bedeutet hier für mich: Ergebnisse aus der Forschung in die Praxis bringen, also der Transfer von Theorie in die Lehre. Die Lehrenden rezipieren Forschungsergebnisse in der Forschungsstandsanalyse, die sie ohne SoTL nicht in ihre Lehrplanung aufnehmen würden. Und sie generieren eigene Forschungsergebnisse, die sie ebenfalls in die Lehrpraxis aufnehmen können. Der Transfer läuft aber nicht nur in eine Richtung. Dadurch, dass SoTL diese Mehrstufigkeit hat – Forschungsstandsanalyse, Formulierung der Forschungsfrage, die Weiterentwicklung des didaktischen Designs, Reflexion – fließen die Erfahrungen, die man in der Anwendung macht, auch wieder in die Reflexion der Ergebnisse aus der eigenen SoTL-Forschung. Das ist so eine Art Kreisbewegung: Forschung – Praxis, Praxis – Forschung.
TURN Conference 2023
Warum Scholarship of Teaching and Learning ein Format ist, dass Transfer erleichtern kann, ist eine der Grundüberlegungen für die TURN Conference 2023 vom 13. bis 15. September 2023 an der Technischen Hochschule Köln.
Mehr Informationen unter https://turn-conference.org/
Welchen Nutzen haben Lehrende, wenn Sie Scholarship of Teaching and Learning einsetzen?
Vöing: Es gibt auf unterschiedlichen Ebenen Vorteile für Lehrende, die SoTL-Projekte durchführen. Sie bekommen zunächst ein besseres Verständnis dafür, wie Lernen eigentlich funktioniert. Sie bauen ihr pädagogisches und didaktisches Wissen aus.
Auf der Ebene des Lehrens ist die Weiterentwicklung der eigenen Lehrpraxis und die Reflexion ein Gewinn. Lehrende schauen sich ihre eigene Rolle und Haltung in der Lehre ganz neu an. Das erfordert mitunter Mut, da die Ergebnisse auch zeigen können, ob man seine Lehre vielleicht überdenken sollte. Vor allem aber motiviert es meist und führt dazu, dass sie den Spaß an der Lehre neu entdecken. Die Lehre wird außerdem objektiviert. Was Dozierende vorher aus dem Bauch heraus gemacht haben, wird auf evidenzbasierte Grundlagen gestellt.
Die Forschungserfahrung wächst darüber hinaus, da Lehrende in SoTL-Projekten mit anderen Methoden arbeiten, mit denen sie vorher meist nicht viel zu tun hatten. Chemiker:innen forschen in Laboren, Maschinenbauer:innen in Fertigungshallen und Literaturwissenschaftler:innen arbeiten mit Texten – sie alle nutzen bei SoTL zusätzlich Methoden der Sozialwissenschaften. Hier findet Methodentransfer zwischen den Disziplinen statt.
Und nicht zuletzt bilden Lehrende in ihren SoTL-Projekten eine Community. Sie setzt sich zusammen aus Hochschuldidaktiker:innen, Studierenden und Lehrenden aus unterschiedlichen Disziplinen, Statusgruppen und Hochschultypen. In und zwischen all diesen Gruppen findet Wissens- und Erfahrungstransfer statt, zum Beispiel auf Veranstaltungen wie der TURN Conference. Lehrende profitieren also selbst von SoTL-Projekten und sie helfen anderen Lehrenden mit ihren Ergebnissen.
Weiterführende Artikel:
- Vöing, N., Arnold, M., & Reisas, S. (2023): Lehrentwicklung durch Scholarship of Teaching and Learning – mit SoTL Hochschullehre beforschen, weiterentwickeln und teilen.
- Vöing, N. (2022). „Wirksamkeit von SoTL im Rahmen hochschuldidaktischer Weiterbildung auf die Weiterentwicklung der (Lehr-)Kompetenz. Das Vertiefungsmodul im Paderborner Zertifikatsprogramm.“ In U. Fahr, K. Alessandra, H. Angenent, A. Eßer-Lüghausen (Hrsg.), Hochschullehre erforschen! Innovative Impulse für das Scholarship of Teaching and Learning.
- Vöing, N., Reisas, S. & Arnold, M. (2022) (Hrsg.). Scholarship of Teaching. Eine forschungsgeleitete Fundierung und Weiterentwicklung hochschul(fach)didaktischen Handelns (Forschung und Innovation in der Hochschulbildung 16).
Was sind Barrieren und Herausforderungen?
Vöing: Einigen Lehrenden fällt der Eintritt in den Diskurs schwer. Sie sind normalerweise in anderen Publikationsbereichen mit zum Teil anderem Vokabular unterwegs. Sie benötigen erstmal einen Grundstock an Journals und Co., in denen sie anknüpfbare Ergebnisse finden. Sie brauchen viel Beratung, Hilfe bei der Forschungsstandsanalyse, Feedback im Zuge der Erhebung und mehr. Dafür braucht es nicht nur Supportstrukturen, sondern auch ein Klima der Offenheit an den Hochschulen, um diese Zusammenarbeit zwischen Hochschuldidaktiker:innen und Lehrenden und auch den Peer-Austausch der Lehrenden aus unterschiedlichen Fachbereichen untereinander zu fördern. Eine Kultur, die so etwas wie „pädagogische Exzellenz“ fördert, also zum Beispiel auch auf hochschuldidaktische Weiterbildung und Professionalisierung der Lehrenden setzt.
Zur Autorin
Antonia Hildebrandt
Kommunikationsmanagerin
Antonia Hildebrandt ist Kommunikationsmanagerin der Stiftung Innovation in der Hochschullehre