Virtueller Campus: Next Level
Ein Beitrag von Antonia Hildebrandt
Lernplattform, Online-Game und Persönlichkeitscoach: Der virtuelle Campus soll Lehre vor Ort und Blended-Learning bestmöglich ergänzen. Die User bewegen sich zwischen und in Nachbildungen der Fakultätsgebäude, finden thematisch sortierte Medien und entdecken neue Welten. Und natürlich hat jeder einen virtuellen Schreibtisch zum Organisieren und Orientieren.
Spontane Begegnungen
Der virtuelle Campus soll noch mehr können. Er soll ermöglichen, was es bisher nur in physischen Seminarräumen oder auf dem Flur gab: spontane Begegnungen. Wie? Die Avatare der User können sich in Videokonferenz-Zonen spontan treffen und informell austauschen und es gibt eine Chatfunktion für schnelle Text- und Sprachnachrichten.
Auch bei Fragen, die immer wieder auftauchen und Lehrenden besonders häufig gestellt werden, zum Beispiel nach korrekten Zitationsregeln, hilft der virtuelle Campus. Es gibt Tools, mit denen Studieren das korrekte Zitieren lernen können.
Eigeninitiative gefragt
In den Studiengängen des Sozial- und Gesundheitswesens gebe es schon seit 15 Jahren Blended-Learning-Szenarien, berichtet Alexandra Engel, Professorin für Sozialpolitik und soziale Problemlagen Erwachsener. „Aber während der Corona-Zeit haben wir die persönlichkeitsbildende Struktur unserer Lehre und auch das Community-Building mit unseren Studierenden stark eingebüßt.“
Der digitale Raum habe sich dafür schon deswegen angeboten, weil dort Studierende der drei Standorte der HAWK in Hildesheim, Holzminden und Göttingen in Kontakt kommen können. Hinzu kommt: „Im Studium vermitteln wir Wissen und üben methodische Vorgehensweisen ein. Aber in Wert gesetzt werden diese Kompetenzen erst später in komplexen Situationen im Arbeitsalltag“, sagt Engel. Als Beispiel nennt sie, wenn Sozialarbeiter:innen in einer Einrichtung mit einem ausrastenden Jugendlichen konfrontiert werden. „Dann müssen sie in dieser Situation ein Blitzanalyse durchführen: Woran liegt es und was ist das angemessene Handeln? Um diese Kompetenzen zu erwerben, braucht es ganz viel Eigeninitiative und Verantwortung der Studierenden selbst. Und die fördert der virtuelle Campus.“ Er wurde auf Basis der Motivationstheorie „Self-Determination-Theory“ und einem Modell des sozial-emotionalen Lernens in Anlehnung an die Kompetenzbereiche nach Zins & Elias und dem „CASEL-Wheel“ entwickelt. „Bei allem Technischen und Inhaltlichen, das wir einbauen, fragen wir uns: Wie können wir das Engagement und die intrinsische Motivation unserer Studierenden fördern?“, so Engel weiter.
Modell des sozial-emotionalen Lernens
Literatur-Hinweise:
Collaborative for Academic, Social and Emotional Learning (CASEL) (2021). What ist the CASEL framework? https://casel.org/fundamentals-of-sel/what-is-the-casel-framework/
Zins, J.E.& Elias, M.J. (2007). Social and emotional Learning. In: Journal of Educational and Psycological Consultation, 17(1), S.1-14.
Teil des Alltags
Klassische Vorlesungen gibt es in den Studiengängen der Sozialen Arbeit und Gesundheit an der HAWK kaum mehr. In den Kursen bearbeiten Studierende eigene Fragestellungen. Etwas mehr als 250 von ihnen haben bereits Zugänge zum virtuellen Campus, auf dem sie zum Beispiel in der Bibliothek nach Literatur zu ihrem Thema suchen können. Für diese Testgruppe wird der virtuelle Campus in den Studienalltag integriert – mit verschiedenen Medien, dem spielerischen Sammeln von Münzen, Chats und einem Stärkenparcours.
Der Stärkenparcours ist ein Instrument, das Studierende zur Praktikumsvorbereitung nutzen können. „Sie lernen ihre eigenen Stärken und Schwächen kennen. Es geht darum, welche Interessen sie haben, und wie sich Talente, Charaktereigenschaften und Bedürfnisse überschneiden“, erklärt Kikko Neubert, Projektkoordinatorin von „hands on“. Es sei wichtig, den Parcours mehrfach zu absolvieren, ergänzt Alexandra Engel. „Es geht in diesem Parcours auch darum, wie ausbalanciert die Stärken sind. Ist es zum Beispiel möglich, 40 Stunden die Woche mit drogenabhängigen Obdachlosen zu arbeiten? Oder wäre es besser, das nur 20 Stunden zu tun und sich für die anderen 20 Stunden noch eine andere Tätigkeit zu suchen? Solche Fragen können zu Beginn des Studiums ganz anders beantwortet werden als am Ende.“
Zu den Personen
Prof. Dr. Alexandra Engel
Fakultät Management, Soziale Arbeit, Bauen | Professur für Sozialpolitik und soziale Problemlagen Erwachsener
Kikko Marie Neubert
Fakultät Gestaltung | Wissenschaftliche Mitarbeiterin zur Entwicklung von Lehr- und Lernszenarien im Förderprojekt „hands on“, Schwerpunkt: Instructional Design
Prof. Stefan Wölwer
Fakultät Gestaltung | Zuständigkeit: Interaction Design
Permanent weiterentwickelt
Die Tools und der gesamte virtuelle Campus werden derzeit angepasst und optimiert. „Wir sind im permanenten Austausch mit Anwendenden. Unser Prozess ist iterativ“, erläutert Stefan Wölwer, Professor für Interaction Design. Die Arbeit am virtuellen Campus werde wahrscheinlich nie wirklich beendet sein. „Wir werden immer reflektierende Phasen einbauen müssen, in denen wir schauen, ob wir noch auf der richtigen Spur sind oder ob sich Umstände geändert haben. Vor ein paar Monaten kam zum Beispiel das Thema KI und ChatGPT rein. Was haben wir gemacht? Wir haben es direkt datenschutzkonform eingebaut und testen es.“
Bei der gesamten Entwicklung komme ihnen die Interdisziplinarität des Projektteams zugute, betonen Wölwer und Engel. „Wir gestalten etwas, bei dem wir immer wieder in die Runde fragen, ob es für die User passt und wir alle Dimensionen berücksichtigen. Nur durch diese Interdisziplinarität kann der Campus so aussehen, wie er es jetzt tut.“
Zur Autorin
Antonia Hildebrandt
Kommunikationsmanagerin
Antonia Hildebrandt ist Kommunikationsmanagerin der Stiftung Innovation in der Hochschullehre