Beitrag vom
07.03.2023
Projekt PITCH
Prüfungen neu denken
Ein Beitrag von Antonia Hildebrandt
Eine der ersten Klausuren, die Anglistik-Studierende an der Universität Duisburg Essen (UDE) schreiben, ist die Einführungsklausur Linguistik. Schon seit ein paar Jahren legen sie diese Prüfung digital ab. Vor Corona aber trotzdem in Präsenz: im PC-Pool der Uni. Während der Pandemie bestritten die Studierenden sie dann von zuhause aus – und das brachte Fragen und Probleme mit sich. „Zu einem so frühen Zeitpunkt im Studium geht es zumindest in Teilen um reine Wissensabfrage. Wir müssen schauen, ob die Studierenden ihren ‚sprachwissenschaftlichen Werkzeugkasten‘ parat haben. Dazu gehören auch Definitionen. Nach denen brauche ich bei einer Distanzklausur aber nicht zu fragen, sie sind nachschlagbar“, sagt Anglistik-Professorin Birte Bös. „Wir haben stattdessen viel mehr Anwendungsfragen mit in die Prüfung genommen, haben mit Beispieltexten gearbeitet. Wir würden auch gerne mehr mit Freitext-Fragen arbeiten, aber bei Kohorten von 650 Studierenden wäre der Prüfungsaufwand zu groß.“
Lehre gestalten und Täuschungsversuche verhindern
Solche Themenfelder bespricht Bös seit ein paar Monaten nicht nur mit Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen aus ihrem oder verwandten Fachbereichen, sondern in ganz verschiedenen Gruppen – bei Treffen, die Maiken Bonnes und ihr Team von PITCH organisiert haben. Einem Projekt, das entstanden sei, weil sich die Lehrenden vernetzen wollten, erzählt Bonnes. „Es gibt verschiedene Arbeitsfelder und Teams. Im Arbeitsfeld ‚Disziplin und Didaktik‘ beispielsweise haben wir uns externe Expert:innen an die Uni geholt, die sog. Decoding-Interviews mit den Lehrenden führen. Dabei werden (Schwellen-)Konzepte herausgearbeitet, deren Bewältigung für den Prüfungserfolg und das weitere Studium besonders relevant sind. Nun stünden Treffen in kleineren und größeren Runden dazu an.
„In Fragen mit Freitext-Feldern hatten mehr als 20 Studierende Wort für Wort dasselbe Falsche stehen.“
Eine diskutierte Frage ist die nach dem Umgang mit Täuschungsversuchen bei Distanz-Prüfungen. Birte Bös und ihre Mitarbeiterin Frauke Milne haben erlebt, dass Studierende sich während Klausuren verbotenerweise über Chatgruppen austauschten. „Wir hatten Fragen mit kurzen Freitext-Feldern, in denen dann mehr als 20 Studierende Wort für Wort dasselbe Falsche stehen hatten.“ Ihr Lösungsansatz: sie arbeiten daran, die Fragen noch anwendungsorientierter zu gestalten, damit solche Kommunikation im Hintergrund schlicht nichts bringt.
Nur eines von vielen rechtlichen Themen, die im Projekt diskutiert werden. „Wir sind zu Beginn der Coronapandemie ja sehr schnell in diese Distanzprüfungsformate geschlittert. Unsere Jurist:innen mussten viele Kompromisse eingehen, damit wir prüfen konnten“, sagt Bös. „Aber wie machen wir von da aus weiter? In welcher Form sind Distanzformate nun regulär ok? Das sind Grundsatzfragen.“
Zu den Personen
Maiken Bonnes, Antonia Schindler, Prof. Dr. Birte Bös, Frauke Milne
(v.l.o.n.l.u.)
An ähnlichen Problemen arbeiten
Nicht nur Rechtliches, sondern alles rund um Prüfungen kann bei PITCH besprochen werden: von technischen Fragen bis hin zu Ideen, wie Studierende motiviert werden können, nicht erst kurz vor Prüfungen zu lernen. „Die Statistiker haben ihren Studierenden wenige Wochen nach Beginn des Semesters eine Mail geschickt mit statistischen Erhebungen, wie viel größer die Wahrscheinlichkeit ist, die Prüfung zu bestehen, wenn man kontinuierlich lernt. Sie haben sie einfach mit diesen Tatsachen konfrontiert. Eine spannende Idee“, erinnert sich Bös.
„Wir haben viele ähnliche Herausforderungen. Es ist hilfreich, wenn jemand schon einen Lösungsansatz hat.“
Und Milne ergänzt: „Unterschiedliche Disziplinen arbeiten mit unterschiedlichen Materialien.“ In der Mathematik werden Aufgaben beispielsweise durch veränderte Zahlen variiert. „Das ist in den Geisteswissenschaften nicht immer so einfach. Es gibt aber grundlegende Strukturen, die gleich sind. Bei den Treffen haben wir gemerkt, dass wir viele ähnliche Probleme und Herausforderungen haben. Und dass es hilfreich ist, wenn jemand schon einen Lösungsansatz hat.“
Strahlkraft entwickeln
Maiken Bonnes ist darüber hinaus wichtig, dass PITCH eine neue Prüfungskultur etablieren will. „Es soll eine Passung hergestellt werden zwischen den Kompetenzen, die geprüft werden sollen, und der Prüfungsform. Und wir wollen diese Prüfungskultur in die Universität tragen.“ Ein Ansatzpunkt: Studentische Hilfskräfte arbeiten im Projekt mit und sie formulieren nun Handreichungen, die sich an Lehrende und Studierende richten. Zudem sind viele PITCH-Teilnehmende in Gremien vertreten, in denen sie die Themen platzieren. „Und wir hoffen natürlich, dass besonders gelungene Prüfungsformen eine Strahlkraft entwickeln“, sagt Bonnes.
Ein Anliegen ist es auch, „Bulimie-Lernen“ zu vermeiden. Es werden Wege gesucht, das kontinuierliche Lernen zu fördern. Ein Ansatzpunkt ist beispielsweise, dass die Studierenden während des Semesters Punkte für die Klausur sammeln können. „Dadurch haben die Studierenden am Ende weniger Stress, weil nicht alles von dieser einen Prüfung abhängt. Und es sorgt dafür, dass sie den Lernstoff wirklich verinnerlichen“, sagt Milne. Ihr nächster Schritt: Sie will nun schauen, ob so etwas auch in ihrem Fachbereich Anglistik möglich wäre.
Zur Autorin
Antonia Hildebrandt
Kommunikationsmanagerin
Antonia Hildebrandt ist Kommunikationsmanagerin der Stiftung Innovation in der Hochschullehre