Beitrag vom
09.05.2022
Fotoprojekt „Changing Perspectives”
Informationen aus dem Baumstumpf
Ein Beitrag von Dr. Matthias Klein
Ein bisschen unheimlich wurde ihr schon. Mit dem Auto ging es raus aus der Stadt, in den Wald, weg von den ausgebauten Wegen, ringsherum nur Bäume. „Das war abenteuerlich“, sagt Antonia Hinterdobler und lacht. „Ich bin Stadtkind, komme aus München. Ich hatte zunächst ein bisschen Sorge, ich könnte mich verlaufen und verloren gehen.“
Die Studentin war in unserem Projekt „Changing Perspectives“ unterwegs. Studierende der FH Potsdam fotografierten bundesweit an Hochschulen Lehr- und Lernsituationen. Hinterdobler besuchte dafür unter anderem den Studiengang Forstwirtschaft an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde im Nordosten Brandenburgs.
Bilder im Kopf
„Ich dachte an Hochglanzfotos von glücklichen Studierenden in schicken Hochschulen.“
„Ich musste erstmal wegkommen von den Bildern, die ich im Kopf hatte“, erzählt die 21-Jährige, die im sechsten Semester Kommunikationsdesign studiert. Zum Thema des Projekts habe sie sofort sehr viel vor Augen gehabt. „Ich dachte an Hochglanzfotos von glücklichen Studierenden in schicken Hochschulen. So richtige Werbefotos.”
Projektleiterin Wiebke Loeper, Fotografie-Professorin im Modul Bild und Wirkung, zeigte den Studierenden keine Inspirationsbilder – sie sollten sich unvoreingenommen auf das Thema einlassen. Die Seminargruppe fragte dann verschiedenste Hochschulen und Studiengänge in ganz Deutschland an, „die für uns besonders spannend waren“, sagt Hinterdobler. Sie selbst war an mehreren Orten mit der Kamera dabei.
Studieren in der Natur
Besonders beeindruckte sie die Forstwirtschaft in Eberswalde. „Ich war total gespannt auf das Studieren in der Natur. Viele Studiengänge finden ja komplett in geschlossenen Räumen statt. Ich habe mich gefragt, wie das wohl draußen ist“, sagt Hinterdobler. Und noch ein zweiter Aspekt habe sie vorab besonders beschäftigt. „Die Arbeit im Wald ist etwas sehr Altes, sehr Traditionelles. Wie kann es dabei Innovation geben?“
Zur Person
Antonia Hinterdobler
Vor Ort war sie dann gleich fasziniert von den viele Eindrücken. Überall lagen bunte Blätter. Die Wipfel der hohen Bäume wiegten sich im Wind. „Das war eine ganz besondere Lernatmosphäre, das hat mich sofort gepackt.“
Viel Technik im Einsatz
„Sie analysieren die Bäume detailliert, berechnen viele Parameter. Ständig hatte jemand einen Taschenrechner in der Hand.“
Die Studierenden in ihren dunkelgrünen Outdoorklamotten hatten sich auf einer Lichtung verteilt. Konzentriert arbeiteten sie an den Bäumen: Sie sägten Stämme auseinander, maßen einzelne Teile aus, untersuchten das Holz. „Ich hätte nicht gedacht, dass dabei so viel Technik zum Einsatz kommt. Sie analysieren die Bäume detailliert, berechnen viele Parameter. Ständig hatte jemand einen Taschenrechner in der Hand“, erzählt Hinterdobler und lacht. „Die Innovation war offensichtlich: Die Technik verändert vieles.“
So auch in der Lehre. Mitten im Wald nahm der Professor eine Vorlesung auf. Eine 360-Grad-Kamera ermöglicht genaue Aufnahmen, sodass die Studierenden später am Laptop interaktiv die einzelnen Aspekte erleben können, ohne ihren Schreibtisch zu verlassen. „Der Wald wird virtuell erfahrbar. Mit so etwas hatte ich überhaupt nicht gerechnet“, sagt Hinterdobler.
Zunächst habe sie einfach angefangen, dokumentarisch zu fotografieren. „Dann war es sehr wichtig, mit den Studierenden ins Gespräch zu kommen. Ich wollte verstehen, was sie da tun. Nur so kann ich mich einfühlen.“
Überwindung wichtig
Ihre Fotos erzählen manchmal etwas ganz anderes als man auf den ersten Blick denkt. Zum Beispiel ein Baumstumpf. Der Baum wurde kürzlich gefällt, ganz frisch ist der Stumpf noch voller Späne. „Man könnte denken, das sei nur ein Rest, einfach Abfall“, berichtet Hinterdobler. „Aber es ist ein Lehrinhalt.“ Ob das Alter des Baumes, ein möglicher Käferbefall oder die Qualität des Holzes: „Es hat mich fasziniert, was die Studierenden aus diesem Stumpf alles an Informationen herausgeholt haben.“
Was war für ihre Fotos wichtig? „Als Fotografin auf die Menschen zuzugehen, ist immer eine Herausforderung“, sagt Hinterdobler. Für gute Fotos habe sie manchmal in die Situation eingreifen müssen. Sie habe beispielsweise darum gebeten, einen Arbeitsschritt zu wiederholen. „Außerdem musste ich ganz nah an die Studierenden heran, ihnen zum Beispiel über die Schulter schauen.“ Das richtige Maß dafür zu finden, sei nicht einfach. „Ich darf nicht zu schüchtern sein, aber auch nicht aufdringlich werden. Das habe ich in diesem Projekt ganz besonders gelernt: Ich muss mich überwinden und die Balance finden, um ein gutes Foto zu machen.“