Beitrag vom
25.04.2022
Fotoprojekt Changing Perspectives
Die ganze Vielfalt der Lehre zeigen
Ein Beitrag von Dr. Matthias Klein
Sie stehen gerade und sehr fest. Ihre Haltung drückt Präsenz und Konzentration aus. Die Blicke sind ernst. Alle tragen selbstverständlich die dunkle Uniform. Studierende der Deutschen Hochschule der Polizei in Oranienburg trainieren eine Fahrzeugkontrolle. Der Ausbilder gibt die nächsten Arbeitsschritte vor.
Szenenwechsel. Sie sind locker gekleidet, tragen bunte Shirts und Sporthosen. Sie stehen entspannt um die Lehrende herum, kommen sich ganz nahe. Die Schauspiel-Studierenden der Hochschule für Musik und Theater Hamburg arbeiten an ihrem Ausdruck.
„Ja, man geht automatisch davon aus, dass das Studieren so stattfindet wie man es selbst kennt und erlebt“, sagt Wiebke Loeper und lacht. „Aber es ist total unterschiedlich.“ Die Professorin für Fotografie an der Fachhochschule Potsdam leitet unser Projekt „Changing Perspectives“. Mit Studierenden im im Modul Bild und Wirkung erarbeitete sie zahlreiche Fotos zum Thema „Lernen und Lehre“.
Auf den Weg machen
„Mich hat es gereizt, gerade da zu arbeiten, wo Fotografie an die Grenzen der Darstellbarkeit kommt.“
„Am Anfang dachte ich: Oha. Das ist wirklich eine große Herausforderung“, erzählt Loeper. „Mich hat es gereizt, gerade da zu arbeiten, wo Fotografie an die Grenzen der Darstellbarkeit kommt. Genau da sollte eine Hochschule ansetzen, finde ich.“
Ihre Idee: „Wir müssen unterschiedliche Perspektiven auf Lehre eröffnen.“ Das heißt: Dorthin gehen, wo Lehre stattfindet. Also Hochschulen besuchen – und sich dann darauf einlassen. „Die Studierenden haben sich auf den Weg gemacht. Sie haben unterschiedlichste Lehr- und Lernformen gesehen“, sagt Loeper. „Da sie diese im Zusammenhang mit Menschen erlebt haben, gab es immer etwas zu fotografieren.“ Mit den Fotos will der Kurs zeigen, was besonders, anregend, staunenswert an einer Hochschule ist. „Wir wollen inspirieren. Wir wollen zeigen, was alles möglich ist“, sagt Loeper.
So gut in es der Coronapandemie eben möglich war, reisten die Teilnehmenden des Seminars zu unterschiedlichen Orten. Sie schauten sich die Arbeit in Studiengängen wie Bildender Kunst, Dramaturgie, Forstwirtschaft, Maskenbild, Schiffbau und Restaurierung an und waren an der Polizeihochschule. Große Vorlesungen konnten sie bislang nicht fotografieren, die waren pandemiebedingt ins Digitale verlagert worden.
„Es hat die Studierenden total verblüfft, wie unterschiedlich studiert wird“, erzählt Loeper. „Da wir in ganz verschiedenen Studiengängen waren, war für sie erlebbar, dass sich das vollkommen anders anfühlt, dass andere Kompetenzen und Fertigkeiten benötigt werden – und dass dann natürlich auch die Ausbildung ganz unterschiedlich aussieht.“
Feste Körpersprache
So zeigen die Fotos verschiedenste Situationen. Mal arbeiten die Studierenden ganz konkret an Objekten, lernen handwerklich Präzision. Mal sitzen sie einsam in der Bibliothek und studieren einen Text. Mal müssen sie zusammenarbeiten und lernen, sich aufeinander zu verlassen. Mal geht es um die Entwicklung der Persönlichkeit, zum Beispiel auf einer Bühne. Und mal verschwindet eine Person sozusagen in der Uniform.
Zur Person
Prof. Wiebke Loeper
Das beeindruckte die fotografierenden Studierenden aus Potsdam vor allem an der Polizeihochschule. „Die Polizist:innen bauten eine Front auf. Es wurde sofort sichtbar: Hier gibt es klare Hierarchien, klare Aufgaben. Die einzelne Person spielt kaum eine Rolle“, berichtet Loeper. „Das Auftreten wird geschult und es geht um bestimmte Abläufe, die eintrainiert werden. Das hatten meine Studierenden gar nicht erwartet, dass die Körpersprache der angehenden Polizist:innen einheitlich und immer wiederkehrend war. Das hatte etwas ballettartiges, wenn auch mit einer ganz anderen Ausstrahlung.“
Hingabe im Blick
„Das wird in den Bildern sichtbar: Es geht bei der Polizei um Klarheit, um Zuverlässigkeit, um Sicherheit.“
Und genau das sei funktional. „Die Bilder zeigen: Es sollte relativ egal sein, welche Personen in einem Polizei-Team zusammenarbeiten. Entgleitet eine Situation, müssen sie sich darauf verlassen, dass die anderen genauso handeln, wie es vorher abgesprochen ist“, erläutert Loeper. „Ich glaube, das wird in den Bildern sichtbar: Es geht bei der Polizei um Klarheit, um Zuverlässigkeit, um Sicherheit. Es geht um Strukturen.“
Wie in einem Kaleidoskop erlebte der Kurs die Vielfalt der Lehre in kurzer Zeit. „Im Studium geht es meiner Meinung nach darum, sich länger und tiefer mit etwas zu beschäftigen“, sagt Loeper. „Das ist für die Studierenden und für mich sehr beeindruckend sichtbar geworden: Es macht Hochschule aus, wie intensiv sich Menschen in ein ganz bestimmtes Feld vertiefen, sich ganz hingeben. Und welche komplexen Fähigkeiten sie dann entwickeln.“
Auf die Situation einlassen
Und haben sich die Klischees bestätigt? „Ja, manchmal waren wir davon schon überrascht“, erinnert sich Loeper und lacht. „Natürlich geht man immer mit einer bestimmten Erwartung in eine Situation. Die Realität überwältigt einen mit ihrer Andersartigkeit und Vielfältigkeit. Das liebe ich an Fotografie. Man ist beschäftigt, das aufzunehmen und sofort in Bilder zu übersetzen.“
„Gute Fotografie geht nur, wenn man sich ganz auf etwas einlässt. Sonst versucht man, der Realität etwas überzustülpen.“
Genau das sei die Aufgabe der Studierenden gewesen: „Gute Fotografie geht nur, wenn man sich ganz auf etwas einlässt. Ohne Offenheit und totales Präsent-Sein kann man keine guten Bilder machen. Sonst versucht man, der Realität etwas überzustülpen.“ Es sei ein wenig wie beim Surfen: „Man muss die Welle reiten.“