Beitrag vom
23.03.2023
Interview mit Robert Lepenies
"ChatGPT stellt Vertrauensfrage"
Ein Beitrag von Dr. Matthias Klein
ChatGPT ist momentan in aller Munde – ist das nun eine Zeitenwende für das Lehren und Lernen an Hochschulen, Herr Lepenies?
Robert Lepenies: Ja, es ist eine Zeitenwende, ich würde sagen, wir stecken mitten in der digitalen Transformation. Wir denken nun anders über alle Texte, die ab jetzt geschrieben werden. Generative KI bzw. das Werkzeug ChatGPT ist ein Kulturphänomen, weil damit Künstliche Intelligenz (KI) auf einmal für so viele Menschen zugänglich ist. Die Technologie gab es vorher schon, das ist an sich nicht überraschend – aber nun haben so viele Menschen die neuen Möglichkeiten in der Hand. Und gleichzeitig ist uns die Bedeutung dieses Moments bewusst. Das ist meist anders, die Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz schleichen sich oft ein und viele Nutzer:innen wundern sich höchstens, dass beispielsweise eine App eines Tages neue Funktionen hat. Dieser Umbruch geschieht sehenden Auges.
„Es ist eine Zeitenwende, wir stecken mitten in der digitalen Transformation.“
Die Reaktionen auf dieses Tool zeigten auch das Menschenbild, das Universitäten insgesamt von Studierenden haben, sagten Sie in einem Interview. Was bedeutet das?
Lepenies: In der Debatte über ChatGPT wurde zumindest zunächst sehr intensiv über mögliche Schummeleien durch Studierende gesprochen. Dieser Aspekt ist auch noch nicht abgeschlossen, die langsameren Institutionen werden erst noch spüren, was ChatGPT bedeutet – auch die, die die Debatte momentan ignorieren. ChatGPT wirft die Frage auf, ob wir uns auf Texte verlassen können. Wir sollten aber nicht mit einem Generalverdacht gegenüber den Studierenden an das Thema herangehen.
Welches Menschenbild ist aus Ihrer Sicht hilfreich?
Lepenies: Wir sollten uns alle als Lernende begreifen. Hochschulen sind die Orte, um darüber nachzudenken, wie sich die Welt gestalten lässt. Ein positives Bild von Studierenden kann sein, dass sie genau darauf Lust haben, lernen wollen, egal ob sich das unmittelbar in Noten umsetzen lässt. Wie sieht die Welt von morgen aus? Wie kann man in der Gruppe darüber sprechen? Ja, das ist ein idealisierendes Bild, aber es kann handlungsleitend sein, um die Transformation positiv zu gestalten.
Zur Person
Prof. Dr. Robert Lepenies
Robert Lepenies ist Präsident der Karlshochschule. Er ist dort Professor für Pluralist & Heterodox Economics.
Foto ©Rebecca Gerndt (Karlshochschule)
Was bedeutet das für die Lehre?
Lepenies: Wir müssen uns stärker die Frage stellen, warum wir überhaupt Lehre machen. Und darauf habe ich meine Antwort gerade gegeben, nämlich dass wir junge Menschen befähigen, die Welt zu gestalten und zu verbessern. Dafür müssen wir ChatGPT kritisch einordnen. Es braucht Wissen über die Funktionsweise, denn nur so lässt sich abschätzen, wo Limitationen liegen. Es braucht außerdem Wissen über den Kontext, in dem Werkzeuge wie ChatGPT zum Einsatz kommen – und den Willen, die Nutzung zu gestalten. Dafür braucht es Ressourcen und gute Lehrende. Nun können die Lehrenden den Umgang mit ChatGPT nicht wie gewohnt lehren, denn sie haben ja ebenfalls keine langjährige Erfahrung damit. Wir müssen uns also alle gleichzeitig bilden. Wenn wir das hinbekommen, wenn wir neugierig und kritisch zugleich auf die neuen Möglichkeiten schauen, dann sind wir einen ganz wichtigen Schritt weiter.
Was wird sich dadurch verändern?
Lepenies: Meine Antwort darauf hat zwei Teile, es geht um die nächsten Jahre, sagen wir fünf, und um die längerfristige Zukunft. Für die nächsten fünf Jahre müssen wir wissenschaftliches Schreiben komplett überdenken. Wir müssen überlegen, wie wir generative KI clever nutzen, denn diese Tools werden ganz schnell etabliert sein. Wenn Microsoft KI-Tools in das nächste Update integriert, können wir uns alle Debatten, wie sie momentan geführt werden, sparen. Die Tools gehören dann einfach dazu. Und dann kann es nur darum gehen, was eigentlich der Wert des Schreibens ist. Wir müssen die unterschiedlichen Zwecke wissenschaftlichen Schreibens neu verstehen. Warum ist das wichtig beispielsweise für die Nachvollziehbarkeit wissenschaftlicher Argumentation? Wie kommt man beim Schreiben auf bessere Gedanken? Wie kann Kreativität die Welt ordnen, während man schreibt? Wie erhalten wir wissenschaftliche Integrität?
„Wir müssen überlegen, wie wir generative KI clever nutzen, denn diese Tools werden ganz schnell etabliert sein.“
Langfristig wird es an den Hochschulen aber auch darum gehen, wie wir als Gesellschaft die immer schnellere Entwicklung von neuen Technologien aushalten, wie wir es schaffen, das gemeinsam zu regeln, wie wir als Gesellschaft zusammenhalten, denn solche Entwicklungen kennt Verlierer und Gewinner. Dafür brauchen wir die Sozialwissenschaften – aber generell interdisziplinäre Reflektion.
Drei Tage rund um die Zukunft der Hochschulbildung: Unter dem Motto “Heads Up!” findet das University:Future Festival (U:FF) vom 26. bis 28. April 2023 in Präsenz sowie im digitalen Raum statt. Robert Lepenies hält auf dem Festival eine Keynote zum Thema „Generative KI“.
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Aber selbst wenn man sich den Wert des Schreibens neu bewusst macht, werden nicht Texte durch KI-Tools entwertet?
Lepenies: Es gab eine Entwertung von Kutschern durch die Entwicklung anderer Formen von Mobilität. Das sage ich jetzt ein bisschen scherzhaft, aber es ist etwas dran. Es ist eine schwierige Frage. Wir wollen ja, dass wissenschaftliche Arbeit, dass wissenschaftliches Denken und Schreiben eben nicht entwertet wird. Es wird darum gehen, wie wir es schaffen, dieses genuine wissenschaftliche Interesse in Zeiten von KI-Tools aufrechtzuerhalten. Da gibt es viele offene Fragen.
Wie gehen Sie konkret an der Hochschule damit um?
Lepenies: Wir gehen mit einer kritischen Neugierde an die Sache. Und wir versuchen, das Thema partizipativ anzugehen. Wir haben keine Top-Down-Regelung verfasst, wir diskutieren gerade verschiedene Vorschläge mit Lehrenden und Studierenden. In meiner Veranstaltung zur Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten habe ich mich schon im Dezember hingestellt und gesagt: „Achtung, wir haben einen neuen Kommilitonen, das ist ChatGPT. Der ist ab jetzt dabei und macht mit. Er weiß immer alles besser, erzählt aber auch total viel Quatsch.“ Mir ist wichtig, dass wir zunächst ausprobieren, in welchen Situationen ChatGPT Einzelnen etwas bringt. Und dann können wir abschichten und schauen, wie wir den Einsatz regeln. Übrigens: Die kritischen Fragen über Datenschutz, Silicon-Valley-Ideologie und Verteilungseffekte durch neue Technologien, die kamen dann im Seminar auch – hierfür braucht es ebenfalls Raum.
„Achtung, wir haben einen neuen Kommilitonen, das ist ChatGPT. Er weiß immer alles besser, erzählt aber auch total viel Quatsch.“
Was bedeutet das für das Verhältnis von Lehrenden und Studierenden?
Lepenies: ChatGPT bedeutet letztlich eine enorme Aufwertung des Vertrauensverhältnisses von Lehrenden und Studierenden. Wenn man die Herkunft von Texten nicht nachprüfen kann, muss man vertrauen. Natürlich kann man mehr mündliche Prüfungen machen, um das abzufedern. Oder Hilfsmittel in manchen Klausuren weiterhin grundsätzlich verbieten. Kann man machen, ist manchmal eventuell sogar sinnvoll.
Aber ich würde mir etwas ganz anderes wünschen: dass wir den Fokus auf Lernende und Prozesse legen, nicht auf Noten und Resultate. Das heißt zum Beispiel, dass wir Prüfungsformen wählen, bei denen es nicht nur um das textliche Endprodukt geht, sondern um das Erleben in der Gruppe, um Praxislernen, Erfahrungslernen, Ko-Konstruktion, mit und ohne KI. Wenn wir Bildung nur als Massenware am Fließband umsetzen, dann haben wir ein Problem, dann wird das nicht möglich sein. Aber im Grunde genommen geht es um Vertrauen. Wenn wir es schaffen, dass es im Kern um Interaktionen zwischen Studierenden und Lehrenden geht, dann müssen wir uns keine Sorgen machen. Dafür braucht es die notwendigen Rahmenbedingungen. Die werden aber nicht von KI geschaffen, sondern der Bildungspolitik.