Beitrag vom
12.01.2023
Lehren im Leben
Dr. Nerea Vöing
Zur Person
Dr. Nerea Vöing
Dr. Nerea Vöing ist erste Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd). Sie leitet zudem die Stabsstelle Bildungsinnovationen und Hochschuldidaktik der Universität Paderborn.
1. Wenn Sie sich zurückerinnern: Was haben Sie als erstes bewusst gelernt?
Meine erste bewusste Lern-Handlung führt in einen Spanien-Urlaub. Ich muss ungefähr zwei Jahre alt gewesen sein und habe mich bei meinen Eltern nach dem spanischen Wort für „Eis“ erkundigt – um dann direkt zum kleinen Lädchen auf unserem Campingplatz zu laufen, mit der Bitte nach einem „Helado“. Das Ergebnis war leider jedes Mal nur ein Keks.
2. Und was haben Sie zuletzt gelernt?
Spontan fällt mir ein, was meine 8-jährige Tochter mir gestern erzählt hat: Es gibt in Amerika eine „Nachmach-Schlange“, die (ungiftige) Königsnatter, welche die (giftige) Korallenotter imitiert, um von den anderen Tieren in Ruhe gelassen zu werden.
3. Was mussten Sie schmerzhaft lernen?
Was ich gerade vielerorts mitbekomme: Nach so vielen Jahren der Weiterentwicklung und (Projekt-) Förderung von Lehre gibt es immer noch wenige gute Prozesse, um Lehre innerhalb einer Hochschule strategisch über die Fächergrenzen hinaus mit einem gemeinsamen Ziel weiterzuentwickeln.
4. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrer Schulzeit?
Ich denke zuallererst an meine Zeit in der Grundschule. Ich hatte eine tolle Lehrerin, die mit einer sehr ruhigen, bedachten und wertschätzenden Art ihren Unterricht gestaltet hat. Einzig die Hausaufgaben mochte ich gar nicht.
5. Was hat Sie in Ihrem Studium an der Lehre begeistert – und was gestört?
Ich habe an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn studiert. Begeistert hat mich, wenn die Dozent:innen selbst für das Thema brannten.
6. Was hat Sie dazu gebracht, selbst lehren zu wollen?
Auch hier war es meine eigene Begeisterung an meinem damaligen Forschungsgegenstand bzw. weiteren Inhalten meiner Wissenschaft, über die ich mit meinen Studierenden in den Austausch kommen wollte.
7. Was haben Sie von Ihren Studierenden gelernt?
Dass Studierende es wahrnehmen, wenn man Zeit in seine Lehrplanung und Herz in seine Lehre steckt und dies auch wertschätzen.
8. Was macht gute Lehre aus?
Hier finde ich es schwierig, nicht in ein Buzzwording zu verfallen. „Studierendenzentriert“, „aktivierend“ und „kompetenzorientiert“ wären auch richtige Antworten. Ich stelle mir als Lehrende u.a. folgende Fragen: Was sollen sich meine Studierenden am Ende angeeignet haben? Was ist im Sinne des Curriculums relevant, aber auch interessant? Das ist für mich der Ausgangspunkt für eine gute Lehrplanung.
9. Von wem hätten Sie gerne mehr gelernt?
Von meiner Klavierlehrerin, doch ich war damals (zwischen 9 und 18 Jahren) nicht sonderlich ambitioniert, was das Üben anging.
10. Was mussten Sie lernen, wollten es aber nie?
Osmose und alles, was damit zusammenhängt. Aber Scherz beiseite: Es gibt so Begriffe, die sich vom Auswendiglernen in der Schule nachhaltig in das Gedächtnis brennen, die sich aber allerhöchstens für das Ausfüllen von Kreuzworträtseln oder das Mitraten bei „Wer wird Millionär“ eignen.
11. Was würden Sie gerne lehren können?
Kreativität, also die Kompetenz, die kognitiven Ressourcen, die ich habe, in einer Art und Weise einzusetzen, die es mir erlaubt, zu neuen Gedanken, neuen Lösungen zu kommen. Hier stoße ich leider oft an meine Grenzen.
12. Welche Innovation halten Sie für überschätzt?
Jeweils der neueste Hype, den Social Media so für uns bereithält. Im hochschulischen System ist es das momentan viel beschriebene Konzept des „student engagement“: Es wird oft als mehr verkauft, als es tatsächlich beinhaltet, nämlich dass Studierende durch eine aktive Auseinandersetzung mit den Lerninhalten lernen.
13. Und auf welche Innovation warten Sie?
Die Frage kann ich gar nicht beantworten. Ich plädiere lieber für Entschleunigung und dazu, Dinge erst einmal „sacken“ und sich entwickeln zu lassen, als für ständige Erneuerung.
14. Welches Problem können Sie gerade nicht lösen?
Die Begrenztheit des „Mental Loads“ und die Herausforderung, bei vielen Projekten gleichzeitig die Fäden in der Hand zu behalten. Im Privaten: Warum um Himmels Willen sind die Gläser jedes Mal dreckig, wenn ich sie aus der Geschirrspülmaschine hole?
15. Aus guten Büchern kann man viel lernen. Was lesen Sie gerade – und was lernen Sie dabei?
Ich lese immer mehrere Bücher gleichzeitig, je nach Stimmungslage. Momentan lese ich, wenn mir nach Erkenntnissen ist, „Utopien für Realisten“ von Rutger Bregman. Daraus habe ich gelernt, dass wir zu häufig die aktuelle Situation als gegeben hinnehmen – und man zu erstaunlichen Antworten kommt, wenn man sich von dieser Art der Wahrnehmung befreit.
16. Nehmen Sie uns mit in die Zukunft: Wie sieht Lehre in 50 Jahren aus?
Hier lasse ich mich überraschen.