Tutorien im Fokus
Ein Beitrag von Antonia Hildebrandt
Die Hochschule Niederrhein. Erstes Semester: Grundlagen der Mathematik. In der Vorlesung wird viel Inhalt vermittelt. Für Wiederholungen, Verständnisfragen und die Vertiefung des Lernstoffs ist oft zu wenig Zeit. Das übernehmen Tutor:innen wie Lena Merkelbach und andere Studierende.
„Lehren und Lernen auf Augenhöhe“
An der Hochschule gibt es viele verschiedene Arten von Tutorien, zum Beispiel Ersti-Tutorien, in denen erfahrene Studierende sich um neue kümmern. Sie erklären ihnen den Stundenplan und führen sie über den Campus. Es gibt Fachtutorien, bei denen es um die Inhalte der Vorlesungen geht, eTutorien zur Unterstützung in digitalen Kursen und Repetitorien für Studierende, die vor dem letzten Versuch einer Klausur stehen.
Lena Merkelbach studiert im vierten Mastersemester Ernährungswissenschaften und gibt schon seit einigen Jahren Fachtutorien und Repetitorien für den Kurs Mathematik/Statistische Grundlagen: „Die Klausuren, um die es geht, habe ich vor nicht allzu langer Zeit selbst geschrieben. Ich weiß, welche Schwierigkeiten und Lücken es bei der Vorbildung gibt, die von den Lehrenden noch nicht erfasst wurden. Ich bin einfach näher dran.“ Ein Tutorium sei keine Ersatzveranstaltung für eine Vorlesung, sondern eine interaktive Übung auf Augenhöhe, bei der sie individuell auf die Teilnehmenden eingehe, erzählt die 31-jährige Merkelbach. Neben den Fachinhalten beleuchtet sie auch soziale und organisatorische Aspekte. Vor allem Studierende in den ersten Semestern fragen, wie die Prüfungsanmeldung funktioniert, wie man Lernzeiten gut strukturiert oder bei welchem Professor man während der Klausur Snacks essen kann – und bei welchem besser nicht.
Zu den Personen
Lena Merkelbach
Master-Studentin an der Hochschule Niederrhein
Jördis Vassiliou
Koordination der Qualifizierung für Tutoring an der Freien Universität Berlin
©Foto: Bernd Wannenmacher
Heike Kröpke
Leiterin Tutorenpogramm an der Nochschule Niederrhein und Projektleiterin „Tutorienarbeit vernetzt und nachhaltig gestalten“
Von Qualitätsmanagement bis Bildungspolitik
Um sich auf ihre Arbeit als Tutorin bestmöglich vorzubereiten, wurde Merkelbach zu Beginn ihrer Tätigkeit im hochschulweiten Tutorenprogramm methodisch und didaktisch vorbereitet. Heike Kröpke leitet dieses Programm an der Hochschule Niederrhein. Die Diplom-Pädagogin ist zusammen mit Jördis Vassiliou von der Freien Universität Berlin Sprecherin des „Netzwerks Tutorienarbeit an Hochschulen“. Beide sind zuständig für das von uns geförderte Projekt „Tutorienarbeit vernetzt und nachhaltig gestalten“. In dem Netzwerk treffen sich Interessierte und im Bereich Tutorienarbeit tätige Mitarbeiter:innen aus der Wissenschaft, der Hochschulverwaltung und der Weiterbildung zum Erfahrungsaustausch.
Kröpke und Vassiliou organisieren diese Treffen. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen an verschiedenen Hochschulen und in den Fachbereichen sehr unterschiedlich gestalten, helfe der Austausch untereinander sehr, erklärt Kröpke. Im Netzwerk entwickeln sie unter anderem derzeit ein Leitbild für Tutorienarbeit und Handreichungen für Hochschulleitungen und Lehrende, in denen Standards für Tutorienarbeit und den Umgang mit Tutor:innen stehen. Denn da gebe es derzeit noch eine breite Spanne, sagt Kröpke. „Es gibt Lehrende, die nicht gut erklären können. Und da kommen Tutor:innen schnell in die Rolle, die gesamte Vorlesung nochmal zu wiederholen. Ich habe auch schon gehört, dass Professor:innen erwartet haben, dass Tutor:innen die halbe Vorlesung in ihren Tutorien übernehmen. Ich finde: Das kann es nicht sein. Tutor:innen können die Lehre unterstützen, sie sind aber keine kleinen Professor:innen.“
Es gebe aber auch positive Erfahrungen, fügt Jördis Vassiliou hinzu. „Derzeit haben wir einen Flickenteppich in Deutschland. An manchen Standorten ist das Thema kaum präsent. An anderen gibt es bereits Tutoriensatzungen und Handreichungen zum Recruiting und der Begleitung von Studierenden als Tutor:innen. Wir arbeiten daran, dass es das an mehr Standorten gibt.“
Das versuchen sie, indem sie an die Personen herantreten, die die Rahmenbedingungen der Tutorienarbeit weiterentwickeln: Das Netzwerk sucht den Dialog mit Hochschulleitungen, Politiker:innen und anderen Personen und Institutionen, um die Bedeutung studentischer Tutorien und die Notwendigkeit einer guten Ausbildung stärker ins Bewusstsein zu rücken.
Projekt „Netzwerk Tutorienarbeit an Hochschulen“
Das „Netzwerk Tutorienarbeit an Hochschulen“ kümmert sich darum, dass dieser Bestandteil der Lehre an deutschen Hochschulen wahrgenommen, sich mit ihm auseinandergesetzt und weiterentwickelt wird. Dazu veranstaltet es Netzwerktreffen, organisiert Weiterbildungsangebote, erarbeitet Handreichungen und vieles mehr. Mit dem von uns geförderten Projekt „Tutorienarbeit vernetzt und nachhaltig gestalten“ will das Netzwerk sichtbarer werden, Tutorienarbeit verankern und zu einem Must-Have in der deutschen Hochschullandschaft machen.
Mehr Informationen finden Sie auf der Website des Netzwerks.
In diesem Jahr besteht das Netzwerk seit 15 Jahren. Zu diesem Anlass haben die Mitglieder nun eine Festschrift mit einem Grußwort von Antje Mansbrügge, unserer Vorständin Innovation, herausgegeben.
Tutorien können nicht nur für die Studierenden, die daran teilnehmen, eine Bereicherung sein. „Wenn Lehrende sich während des Semesters regelmäßig mit den Tutor:innen austauschen, dann haben auch sie etwas davon: Feedback zu ihren Lehrveranstaltungen. Wir bekommen häufig die Rückmeldung, dass dieser Austausch positive Auswirkungen hat“, sagt Vassiliou.
Und auch für Studentin Lena Merkelbach sind Tutorien keine Einbahnstraße, in der nur sie den Jüngeren etwas gibt. „Durch die Fragen der Teilnehmenden lerne ich neue Perspektiven kennen, die mir selbst weiterhelfen. Ich kann mein eigenes Wissen vertiefen. Beim Tutorium unterstützt man sich gegenseitig.“
Zur Autorin
Antonia Hildebrandt
Kommunikationsmanagerin
Antonia Hildebrandt ist Kommunikationsmanagerin der Stiftung Innovation in der Hochschullehre