Vom Projekt ins Curriculum
Ein Beitrag von Antonia Hildebrandt
Eine hochschwangere Frau hockt auf einem großen Gymnastikball in einem Krankenzimmer. Bei ihr sind eine Hebamme, eine Ärztin und eine Dolmetscherin. Die Schwangere spricht kein Deutsch oder Englisch, nur Spanisch. Gemeinsam versuchen Ärztin, Hebamme und Dolmetscherin, die Frau auf die Geburt vorzubereiten. Die Ärztin spricht mit der Schwangeren auf Deutsch, erklärt, wie es weitergeht. Die Dolmetscherin steht neben ihr und übersetzt anschließend, was sie gesagt hat. Die Schwangere nickt und hat verstanden.
Übungen im Simulationszentrum
Die Szene stammt nicht aus einem Krankenhaus, sondern aus dem Skills- und Simulationszentrum der Universität Leipzig. Die hochschwangere Frau ist eine Simulationsperson und kann durchaus Deutsch sprechen, die Ärztin ist eine Medizinstudentin in ihrem Praktischen Jahr, die Hebamme ist eine Studierende der Hebammenwissenschaft und die junge Frau, die übersetzt hat, studiert Konferenzdolmetschen. Im Nebenraum sitzen Lehrende und weitere Studierende. Im Anschluss an die Szene gibt es Feedback. „Die Studierenden testen ihre Fähigkeiten in einem geschützten Rahmen. Sie können Fehler machen und in engen Austausch mit den Lehrenden gehen. Das wird sehr geschätzt. Gerade Studierende der Humanmedizin sind dankbar, ihre Fähigkeiten in Kleingruppen zu üben. Bei Kohorten von 340 Studierenden pro Jahrgang sind Übungen mit wenig Studierenden wie hier nicht die Regel“, sagt Dr. Daisy Rotzoll. Die ärztliche Leiterin der LernKlinik Leipzig ist eine der Leiterinnen des Projektes „TeamTra“. „An den Sitzungen nehmen hauptsächlich Humanmedizinstudierende teil, die im Rahmen ihres Praktischen Jahres im Bereich der Geburtshilfe tätig sind und später voraussichtlich viel in interprofessionellen Settings arbeiten werden.“
Das Projekt TeamTra: Teaming in Translation - Gesundheitsberufe und Dolmetschen
Mehr Informationen zum Projekt finden sie in unserer Projektdatenbank und in einem Artikel des Leipziger Universitätsmagazins.
Ins Curriculum aufgenommen
Angehende Dolmetscher:innen durchlaufen das Projekt im zweiten Fachsemester. „Zu diesem Zeitpunkt können sie schon Grundlagen. Diese realitätsnahe Übung ist für sie ideal. Sie vertiefen ihre Kenntnisse in der Fachsprache und lernen Empathie. Ich erlebe die Studierenden in dieser Übung als sehr engagiert und habe den Eindruck, sie freuen sich darauf“, erklärt Dr. Tinka Reichmann, Professorin für Translationswissenschaft an der Universität Leipzig. Gemeinsam mit Dr. Daisy Rotzoll leitet sie das Projekt. „Wir arbeiten zum ersten Mal im medizinischen Kontext – das hat uns sehr bereichert.“
Die Hebammenstudierenden durchlaufen die interprofessionelle Simulationsübung inzwischen verpflichtend. Für ihr Studium konnte die Idee aus dem Projekt „TeamTra“ nach positiven Evaluationsergebnissen in das Curriculum aufgenommen werden. Die Studierenden absolvieren zwei Sitzungen verteilt auf ein Jahr, einmal mit Spanisch und einmal mit Arabisch. „Der Studiengang Hebammenwissenschaften ist neu, etwa drei Jahre alt, und noch recht klein. Wir haben ein wenig Spielraum und einige innovative Ansätze einbauen können“, erklärt Dr. Daisy Rotzoll.
Zu den Personen
Prof. Dr. Tinka Reichmann
Professur für Translationswissenschaft an der Universität Leipzig, Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie
Foto: Swen Reichhold
PD Dr. med. Raisy Rotzoll
Ärztliche Leitung Skills und Simulationszentrum LernKlinik Leipzig an der Universität Leipzig, Medizinische Fakultät
„Ein echter Augenöffner“
Die Übung schule die Fähigkeiten der jungen medizinischen Fachkräfte und bereite sie auf die Realität in Kliniken vor, sagt Dr. Rotzoll weiter. „Wenn Patient:innen weder Deutsch noch Englisch sprechen, dann helfen fast immer Pflegekräfte, die die jeweils benötigte Sprache beherrschen. Ein wichtiger Aspekt des Projektes ist es, den Studierenden zu vermitteln, dass es Situationen gibt, in denen sie trotzdem professionelle Dolmetscher:innen anfordern müssen und in denen es wirklich nicht mit der Pflegekraft der Nachbarstation geht.“ Das sei auch für die Lehrbeauftragten, die in dem Projekt mitwirken, ein echter Augenöffner gewesen.
Die beiden Leiterinnen haben „TeamTra“ in den vergangenen Monaten auf verschiedenen Veranstaltungen vorgestellt und sind auf positive Resonanz gestoßen. Sie arbeiten daran, den Ansatz auch anderen Hochschulen vorzustellen.
Zur Autorin
Antonia Hildebrandt
Kommunikationsmanagerin
Antonia Hildebrandt ist Kommunikationsmanagerin der Stiftung Innovation in der Hochschullehre